142 - Der Bluttempel
Barbarin«, beruhigte sie Popovgeno.
»Dafür ist auch morgen noch Zeit. Zuerst lass uns die Menschen hier begrüßen. So schlecht es ihnen auch gehen mag – über Tratsch, den ich ihnen liefern kann, freuen sie sich immer. Er macht sie glücklich, und er öffnet die Gorbachov-Flaschen.«
»Schon wieder dieser Blindmacher?« Matt wandte sich angewidert ab.
»Selbst euch sind Gorbachovs überragende Kenntnisse der Fusel-Brennerei bekannt? Nun, dann lasst euch von mir mit einem ganz besonderen Jahrgang überraschen, der nicht ganz so mild ist wie der sonstige Verschnitt, den er normalerweise unters Volk bringt…«
***
Die Dorfbewohner hatten sie freundlich, aber mit einer gehörigen Portion Misstrauen aufgenommen. Ihr Argwohn hatte sich sogar auf den Vogelhändler ausgedehnt, dem sich kaum jemand nähern wollte.
Dennoch war der Voodka umhergereicht worden, und obwohl er ihm weitestgehend entsagt hatte, spürte Matt Dutzende Nilpferdhorden auf seinen Ganglien Tango tanzen.
»Wenn die Russen mehr Energie in ihren Lebensmut packen und stattdessen beim Saufen ein wenig Zurückhaltung üben würden, hätten sie diese Noskopzen längst vertrieben«, schimpfte er.
»Es ist der verdammte Schwermut«, sagte Popovgeno, der trotz enormen Alkoholkonsums erstaunlich frisch wirkte.
»Einerseits hilft er uns über die schwersten Zeiten hinweg, andererseits stiehlt er uns die Lebenskraft.« Übergangslos wurde er ernst. »Doch ruhig jetzt – wir sind beim Tempeleingang.«
Auf Popovgenos Geheiß ließen sie die beiden Flugandronen mitsamt der prall gefüllten Vogelkäfige zurück und marschierten den breiter werdenden Pfad durch das dschungelartige Dickicht im Gänsemarsch entlang.
»Was sind das für Geräusche?«, fragte Aruula alarmiert.
Matt konnte nichts hören. Die Barbarin war ihm wie so oft mit ihren feinen Sinnen weit voraus.
»Also ist er wirklich schon da«, sagte Popovgeno und machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.
»Wer?«, hakte Matt sofort nach.
»Du wirst ihn gleich sehen«, meinte der Vogelhändler geheimnisvoll. »Achte stets darauf, wohin du trittst.«
Matt erwiderte nichts darauf. Er konzentrierte sich vielmehr auf die Geräusche des Waldes – und tatsächlich, wenige Schritte später bemerkte auch er das Zischen.
»Es klingt wie ein gutes Dutzend Dampfkessel, das gleich zu explodieren droht«, flüsterte er Aruula zu.
»Das glaube ich nicht«, wisperte sie zurück. »Für mich hört es sich eher an wie ein schlecht gestimmter…«
»… Schlangenchor«, vollendete Popovgeno, der auf den Platz vor dem Tempel trat. »Und so ist es auch. Es freut mich aufrichtig ganz und gar nicht, dich und deine Brut wieder zu sehen.«
»Diese Meinung beruht ganz auf Gegensseitigkeit«, antwortete eine lispelnde, dünne Stimme.
Matt und Aruula traten ebenfalls ins Freie. »Darf ich euch vorstellen?«, fragte sie der Vogelhändler. »Dies hier ist Sirhissov. Mein über alles geliebtes Bruderherz.«
Der Mann war in eine schwarze Robe gehüllt, deren scharlachrote Innenseite über den Waldboden schleifte.
Widerlich!, war der erste Gedanke, der Matt in den Sinn kam, als er ihn musterte. Alles an ihm strahlte Arroganz und Verschlagenheit aus. Die hochgezogenen Brauen ebenso wie die Falten rund um seinen schmalen Mund, das tückische Glänzen in seinen Augen, die spinnenartig langen Finger, die Sirhissov aneinander rieb, das hustende Kichern…
»Sieh dir die Schlangen an!«, flüsterte ihm Aruula erschrocken zu.
Sie hätte es nicht extra erwähnen müssen.
Die Tiere waren nicht nur um ihn und wanden sich scheinbar ekstatisch zu seinen Füßen – nein: Sie krochen aus seinem Beinkleid und den Ärmeln, züngelten aus dem hochgestellten Kragen, zischten unter der spitz aufragenden Mütze hervor.
»Hat mein hoch geschätzter Bruder einmal mehr nette Begleitung gefunden, die er in dass Reich unsserer Handelsspartner hinabführen will?« Die monotone Stimme wirkte hypnotisierend und erweckte, sobald Matt die Augen schloss, das Bild mehrerer Tonnen Schleim, die ihn unter sich begruben.
»Wir beide machen unsere Geschäfte so, wie wir es für richtig erachten«, sagte Popovgeno, der Hüne, der trotz allem einen gewissen Respekt vor seinem zweifelsohne älteren Bruder zeigte.
Matt sah, wie sich der mächtige Brustkorb des Vogelhändlers hob und senkte; auf und ab, immer wieder, als ängstigte er sich wie ein viel zu groß geratenes Kind. Bis er endlich ausreichend Mut fand – und fragte: »Wollen wir
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