1420 - Der Geisterhenker
mir. Mrs Ingram hat zwar dort gewohnt, aber sie ist mehr für sich gewesen. Sie lebte auch mit keinem Partner zusammen. Sie war ja nicht mehr die Jüngste, und ihr Leben drehte sich wohl einzig und allein um ihren Job.«
»Was tat sie beruflich?«
»Sie war Anwältin. Private Kontakte schien sie so gut wie keine gehabt zu haben. Zumindest nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft. Die Wohnung und das Büro lagen im Übrigen zusammen. Wenn sie Besuch bekam, dann wohl mehr von ihren Klienten. Jedenfalls haben meine Mitarbeiter nichts anderes erfahren. Ein Privatleben der Frau fand praktisch nicht statt.«
Ich hatte während der Erzählung meine Stirn kraus gezogen. »Anwältin war sie?«
»Ja.«
»Über ihre Klienten wissen Sie nichts?«
»Nein.«
»Haben Sie Akten mitgenommen?«
Baker lachte leise. »Sicher. Wir haben auch eine Festplatte an uns genommen. Die Auswertung wird allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen.«
»Das ist mir klar.«
»Wollten Sie darauf hinaus?«
Ich seufzte. »Vielleicht, Mr Baker. Ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass uns oder mir da noch etwas bevorsteht. Ich glaube noch immer, dass ihr Vorleben uns die nötigen Hinweise geben kann. Ich werde mir deshalb die Wohnung und das Büro ansehen.«
»Letzteres können Sie vergessen, Mr Sinclair. Das wurde von unseren Leuten wirklich penibel durchsucht, und das sind Fachleute, darauf können Sie sich verlassen.«
»Kann ich in die Wohnung hinein?«
»Wir haben beides versiegelt.«
»Ich muss trotzdem hin.«
»Gut, ich schicke Ihnen einen meiner Mitarbeiter vorbei. Dann brauchen Sie nichts zu zerstören.«
»Das wäre gut.«
»Eine Frage noch, Kollege. Was hoffen Sie denn zu finden? Glauben Sie an den großen Durchbruch?«
»Nein, das sicherlich nicht. Aber ich denke, dass mir vielleicht irgendein Hinweis in die Hände fällt, der mich weiterbringt. Sie wissen selbst, wie mein Job aussieht. Manchmal sind Dinge für mich interessant, über die Sie nur den Kopf schütteln. Da könnte es im privaten Bereich möglicherweise etwas geben.«
»Okay, dann drücke ich Ihnen die Daumen. Wann sind Sie ungefähr am Ziel?«
Ich gab die Antwort erst, nachdem ich die genaue Anschrift erhalten hatte.
Baker sagte mir, dass der Kollege auf mich warten würde, und wünschte mir noch viel Glück bei meiner Aktion.
»Danke, das kann ich gebrauchen.«
***
Ich hatte mir keine Gedanken darüber gemacht, wie Beth Ingram gelebt hatte. Wohnung und Arbeitsplatz befanden sich in einem Haus, aber es war kein Haus, in dem Beth Ingram allein gelebt hatte. In diesem modernen Bau wohnten mehrere Parteien. Zwei Ärzte, sie als Anwältin, eine Versicherungsvertretung und auch ein paar Mieter, die solvent genug waren, um die Miete zahlen zu können.
Einen Parkplatz gab es an der Seite des Hauses. Ich stellte den Rover in einer leeren Parktasche ab und sah mich nach Bakers Kollegen um, den er mir hatten schicken wollen.
Ich sah ihn nicht. Aber er hatte mich gesehen. Er war mit einem zivilen Fahrzeug gekommen, öffnete jetzt die Tür und kam winkend auf mich zu. Dabei lächelte er.
»Mr Sinclair?«
»Ja.«
»Ich heiße Jim Fieldman.« Er streckte mir die Hand entgegen. »Mr Baker hat mir gesagt, um was es Ihnen geht.«
»Und dabei ist es auch geblieben.«
»Gut, kommen Sie mit.« Er schaute mich fragend an. »Oder sind Sie schon im Haus gewesen?«
»Nein, ich bin gerade angekommen.«
»Gut, dann folgen Sie mir.«
Wir betraten einen kühlen Flur, in dem eine sterile Atmosphäre herrschte. Da gab es nichts Gemütliches. Alles wirkte puristisch.
Nur nichts Warmes, nur keine freundlichen Farben. Dafür wurden Besucher und Mieter durch kahle Marmorwände begrüßt.
Fieldman löste ein Siegel. Er hatte kräftige Finger, auf denen rote Härchen wuchsen.
»Das ist noch nicht der direkte Eintritt zur Wohnung«, erklärte er mir. »Und auch nicht zur Praxis. Aber das werden Sie gleich sehen.«
Ich sah es auch. Wir gelangten in einen Vorflur. Zwei Türen gingen davon ab. Die rechte führte in die Praxis, die linke in das private Umfeld. Beide Türen waren versiegelt.
»Wo wollen Sie hin, Sir?«
»Nach links.«
»Gut.«
Wieder löste der Mann ein Siegel. Danach öffnete er die Tür und hielt sie mir auf.
»Brauchen Sie mich noch? Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
»Ich denke nicht.«
Er deutete auf eine schmale Bank. »Ich warte hier. Falls Sie Unterstützung brauchen, sagen Sie Bescheid. Außerdem muss ich das Siegel wieder
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