1420 - Der Geisterhenker
existierte er im Untergrund weiter, und ich musste davon ausgehen, dass sich seine Mitglieder auf der ganzen Welt verteilten.
In der letzten Zeit war ich einige Male mit diesem Bund konfrontiert worden und hatte auch dessen Brutalität erlebt. Es ging um Macht und um das große Herrschen, und dabei nahm die Gruppe keine Rücksicht auf Verluste. Selbst vor Morden schreckten die Illuminati nicht zurück. Sie fanden immer wieder Menschen, die sich dafür hergaben, und Paul Ingram schien einer von ihnen gewesen zu sein, sonst wäre er nicht als Henker der Illuminati bezeichnet worden. Beth Ingram hatte durch ihn den Tod gefunden, und da stellte sich für mich die Frage nach dem Motiv.
Möglicherweise fand ich es in der Akte, die auf meinen Knien lag.
Ich wollte sie aufschlagen, aber dazu kam ich nicht, denn der Kollege Fieldman betrat die Wohnung.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ja, warum wollen Sie das wissen?«
Er schaute sich schnell um. »Es war alles so ruhig bei Ihnen.«
»Ich singe nicht bei der Arbeit und unterhalte mich auch nicht mit mir selbst.«
»Sorry, ich gehe wieder.«
»Sie können auch wieder zurück zu Ihrer Dienststelle fahren«, schlug ich ihm vor.
»Nein, nein, ich habe meinen Auftrag und bleibe.«
»Wie Sie wollen.«
Jim Fieldman zog sich wieder zurück, und ich war froh, allein zu sein. Dass Beth Ingram die Akte versteckt hatte, war sicherlich nicht ohne Grund geschehen. Da musste etwas Ungewöhnliches passiert sein. Sie eine Anwältin und ein enger Verwandter der Henker.
Passte das zusammen?
Wahrscheinlich nicht. Zumindest nicht, wenn man normalen Denkprozessen folgte.
Ich blätterte die Akte weiter durch.
Vor mir lag der Text über ein Todesurteil. Paul Ingram, der Henker, war hingerichtet worden. Und zwar nicht hier auf der Insel, sondern in den Staaten. Man hatte ihn in Kalifornien gefasst und ihm dort die Todesspritze gegeben.
In der Urteilsbegründung war zu lesen, dass man ihm mehr als zehn Morde nachgewiesen hatte. Da blieb in einem Staat wie Kalifornien nur die Todesstrafe.
Das war vor fast zwanzig Jahren passiert. Die Einzelheiten der Morde überflog ich, denn ich suchte nach einem Hinweis, der mich auf die Spur der Beth Ingram brachte. Was hatte sie mit alldem zu tun?
Auf einer der letzten Seiten fand ich dann einen interessanten Hinweis. Hier ging es um Beth Ingram. Man hatte dem Angeklagten die letzten Worte überlassen. Sie mussten wie ein Racheschwur geklungen haben, der auch gegen Beth gerichtet war.
»Meine Tochter hat nicht versucht, mich zu verteidigen. Sie hat alles getan, um nicht in den Fall mit hineingezogen zu werden. Ein Vater, der sich auf seine Tochter nicht verlassen kann, wird dieses Wissen mit ins Jenseits nehmen. Aber nicht für alle ist es das Ende. Manchmal gibt es Brücken, und über diese Verbindungen kommen diejenigen zurück, mit denen man nicht gerechnet hat. Ich war der Henker, das ist vorbei, aber ich werde bald ein neuer sein und abrechnen. Der Henker wird zum Geisterhenker, das verspreche ich, denn ich besitze die entsprechende Macht, die mir derjenige gegeben hat, der mich auch weiterhin leiten wird. Hütet euch, denn ich kehre zurück…«
So weit seine Ausführungen. Was bestimmt die meisten Menschen im Gerichtssaal nicht für bare Münze genommen hatten, das hatte sich erfüllt. Er war tatsächlich wieder da. Zumindest musste ich nach dem jetzigen Stand der Dinge davon ausgehen.
Aber es stellte sich sofort eine andere Frage.
Was hatte der Henker mit mir zu tun? Warum hatte ich in meinen Träumen das Beil gesehen, das mich verfolgte?
Ich hatte schon meine Probleme, damit zurechtzukommen, denn mir war der Henker unbekannt gewesen. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich von ihm gehört, und nun musste ich davon ausgehen, dass er auch mich auf seiner Liste stehen hatte.
Weshalb? Hatte er vielleicht schon im Voraus gewusst, dass dieser Fall an mir hängen bleiben würde?
Es war durchaus möglich, aber diese Erklärung sah ich zugleich auch als etwas vage an. Da konnte es auch andere Gründe geben.
Egal, ich hatte den Fall, und ich wusste nun, dass der Henker für die Illuminati gearbeitet hatte, deren verdammter Geheimbund wirklich weltumspannend war.
Er war also wieder da. Er hatte seine Tochter getötet, von der er sich im Stich gelassen gefühlt hatte. Ich persönlich konnte es nicht nachvollziehen, weil ich anders dachte als dieser Mörder. Nur musste ich mich damit auseinander setzen, denn auch ich gehörte zum Kreis
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