1421 - Totenklage
verschluckt hatte. Die Stimmen der verschwundenen alten Menschen, nach denen man nicht lange gesucht hatte. Ihretwegen wollte man eben keinen Sumpf trockenlegen.
Elena Davies war tatsächlich ein sensibler Mensch. Sie merkte, über was ich und sicherlich auch Bill nachdachten, denn sie sprach uns beide an.
»Jetzt wollen Sie bestimmt mehr von mir wissen?«
»Wenn Sie können«, antwortete Bill.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich Recht habe.« Wieder sprach sie sehr langsam und auch recht laut, »aber wenn man taub ist und sich nur schlecht unterhalten kann, dann muss man zusehen, sein eigenes Leben zu finden, das nicht zu langweilig ist.« Sie suchte nach den richtigen Worten, und wir unterbrachen sie auch nicht.
»Ich habe mich mit dieser Gegend, meiner Heimat, beschäftigt. Da ist mir schon einiges aufgefallen, wenn man in die Vergangenheit zurückgeht, wo die Zeiten noch anders waren.«
»Wie anders denn?«, fragte ich.
Sie fuhr durch ihr dunkles Haar. Danach wehrte sie einige Mücken ab, die so verdammt lästig waren. »Hier hat ja alles seine Geschichte, und der Sumpf war schon immer da. Über die Jahrhunderte hinweg hat es ihn gegeben. Da ist mir etwas aufgefallen. Er wurde als Kultstätte benutzt. Man hat ihn dem Teufel geweiht. Es wurden hier böse Feste und Orgien gefeiert. Es waren nicht die einfachen Bewohner, nein, der Landadel hat sich hier verlustiert. Der Sumpf war schon immer etwas Besonderes gewesen. Man hat ihn sogar als regelrechten Götzen betrachtet, dem Opfer gebracht wurden.«
»Menschenopfer?«, fragte ich.
»So erzählt man es sich. Der Götze Sumpf hat gefressen und gefressen. Wie viele Menschen hier verschwanden, hat niemand aufgeschrieben, aber es müssen nicht wenige gewesen sein. Wer aufmuckte und dem Landadel nicht passte, der war zuerst ein Opfer für die Rituale und danach verschwand er spurlos.« Sie deutete über die Bordwand hinweg. »Für mich ist der Sumpf zu einem Stück Hölle geworden, seit ich weiß, dass ein Mörder hier seine Opfer verschwinden lässt.«
Das konnten wir nur unterstreichen. Es war auch interessant zu erfahren, was sich dahinter versteckte, und jetzt wollte ich wissen, ob dies auch allgemein bekannt war.
»Nein, das denke ich nicht. Die Menschen haben sich nicht darum gekümmert. Zwar wird der Sumpf gemieden, aber aus anderen Gründen. Er ist einfach zu gefährlich. Deshalb konnte der Killer seine Opfer auch so unbemerkt verschwinden lassen. Gesucht hat die Polizei hier nicht, und von der Vergangenheit wussten die ermittelnden Beamten auch nichts. Die Menschen im Dorf jedenfalls haben nichts erzählt. Selbst Bob Kling hat nichts gesagt, wobei für mich nicht feststeht, ob er Bescheid weiß.«
»Wer ist Bob Kling?«, wollte ich wissen.
»Der Constable. Unser Polizist.«
»Stammt er aus dem Ort?«
»Ja.«
»Sie kennen ihn gut?«
»Ich kenne alle.«
»Haben Sie denn mit ihm über diesen Fall gesprochen, der ja die Vergangenheit und die Gegenwart betrifft?«
»Nein, das habe ich nicht.« Sie lächelte etwas schief. »Das heißt, ich habe vor einiger Zeit mal Andeutungen gemacht, bin aber auf taube Ohren gestoßen. Er wollte von so etwas wohl nichts hören.«
»Okay, das kann man verstehen«, sagte ich und fragte sofort weiter. »Woher haben Sie Ihr Wissen?«
»Ich habe es mir angelesen. In alten Kirchenbüchern in den umliegenden Ortschaften. Manche sind ja so etwas wie Geschichtsbücher. Die habe ich durchstöbert. Das ist sehr interessant gewesen. Der Sumpf wurde schon immer als Ort des Bösen oder des Teufels bezeichnet, an dem Tote keine Ruhe finden können. Aber ich weiß auch, dass die damaligen Vorgänge mit den heutigen nichts zu tun haben.«
Da konnten wir nur zustimmen.
Ich dachte über das Gehörte nach und verglich es mit meinen Erfahrungen, die ich im Laufe der Zeit gesammelt hatte. Orte wie diese existierten überall auf der Welt. Hier hatte der Teufel oder das Böse seine Spuren hinterlassen. Schon immer waren die Menschen seine Opfer gewesen. Er hatte sie regelrecht eingesaugt. Er hatte ihnen nicht nur das Leben genommen, sondern auch ihre Seele. Wenn die Menschen zu ihm fanden, war das für ihn das Größte.
Tote, deren Seelen keine Ruhe finden konnten. Das passte im Prinzip perfekt.
Wir hatten einiges über die Vergangenheit erfahren. Jetzt war es Zeit, sich um die Gegenwart zu kümmern und um die Probleme, die damit verbunden waren. Dass wir auf dieser Insel nicht Tage und Nächte verbringen konnten, lag
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