1425 - Medusas Vermächtnis
zwei Männer hielten den Atem an!
***
Gerard Goodrow war nicht zu seinem Freund gegangen. Er blieb zwischen ihm und dem Bild hocken, das jetzt voll im Spiegel zu sehen war.
Schultz schaute leicht von der Seite her auf die Fläche. Goodrow hatte sie von vorn voll im Blick. Beide sahen sie das sich dort abzeichnende Bild.
Es war die Medusa!
Die Männer sprachen kein Wort. Beide gaben sich der Magie des Augenblicks hin.
Michael Schultz spürte seinen Herzschlag überdeutlich. Die Spannung in ihm war gestiegen. Er wartete auf eine Reaktion, die jedoch nicht eintrat, sodass er sich wieder etwas beruhigen konnte. Was er sah, war ein Gemälde, keine Sensation. Es war auch keine Kunst, die einen Betrachter zu Begeisterungsstürmen hätte hinreißen können.
Auf dem Bild war der Kopf einer Frau mit Schlangenhaaren zu sehen. Die Schultern konnte der Betrachter auch noch erkennen, aber das war auch alles. Kein exponierter Hintergrund lenkte vom eigentlichen Motiv ab. Wer das Bild ansah, der musste auf den Frauenkopf schauen.
Schlangen wuchsen auf dem Kopf. Sie ringelten sich, und natürlich hatten die Schlangenkörper auch Köpfe, in denen die kleinen Augen schimmerten. Alles war naturgetreu, fast fotorealistisch wiedergegeben worden. Ein Betrachter musste den Eindruck haben, von jedem Schlangenaugenpaar direkt angeglotzt zu werden. Da konnte einem schon ein Schauer über den Rücken laufen.
Michael Schultz konzentrierte sich auf das Gesicht. Ihm fielen die hohe Stirn auf, der breite Mund, die starren Augen und Wangen, die leicht glänzten.
Es war ein starres, ein menschliches Gesicht, das er nicht kannte.
Trotzdem war ein ungutes Gefühl in ihm, als hätte er dieses Gesicht schon mal irgendwo gesehen. Es hätte auch sein können, dass man es ihm beschrieben hatte.
Er dachte an sein Gespräch mit Goodrow im Domhotel. Der Agent hatte nicht ausgeschlossen, dass es sich bei dem Gemälde um ein Selbstporträt der Künstlerin Cornelia handelte.
Und in London hatte es im Zusammenhang mit diesem Bild einen Toten gegeben!
»Ich stelle es nicht aus! Auf keinen Fall!«, stieß er hervor.
»Das brauchst du auch nicht. Wir verstecken es im Dark Room. In deiner Kammer.«
»Ja, ja, das hatten wir vor. Aber warum können wir es nicht hier in deinem Hotelzimmer lassen?«
»Weil sie es nicht will. Das weißt du doch. Cornelia wird kommen. Sie will sich selbst um das Bild kümmern.«
»Und will sie auch, dass es ausgestellt wird?«
»Keine Ahnung. Ehrlich nicht. Sie hat mir nur angekündigt, auf die Vernissage zu kommen.«
Schultz verdrehte die Augen. Er spürte plötzlich, dass er zitterte.
Wenn er sich vorstellte, was passieren würde, wenn der alte Fluch tatsächlich zutraf, dann wurde ihm ganz anders.
»Wir müssen eben dafür sorgen, dass es dort bleibt. Ich kann es mitnehmen, aber ich will nicht, dass plötzlich die Gäste alle zu Stein werden. Das mache ich nicht mit, und ich lasse mich von Cornelia auch nicht in die Pflicht nehmen.«
»Wir werden es ihr sagen.«
Schultz räusperte sich. »Aber du traust dich auch, das Bild normal zu betrachten – oder?«
»Ich werde mich hüten.«
»Gut. Und ich dachte schon, ich wäre allein so furchtsam. Du kennst mich, Gerard. Ich bin für allen Spaß zu haben, doch irgendwo hat auch der eine Grenze. Denn ich will nicht, dass der Spaß letztendlich im Tod endet.«
»Da brauchst du keine Sorge zu haben.«
»Dann pack es jetzt wieder weg.«
»Okay.«
Der Agent kroch zurück. Er drehte sich nicht um, denn er wusste genau, wohin er die Decke geworfen hatte. Mit einem Handgriff nahm er sie an sich.
Michael Schultz beobachtete alles in der Spiegelfläche. Geschickt schleuderte Goodrow die Decke über das Bild. Dann drehte er sich um und drapierte sie so, dass er das Gemälde damit umwickeln und es wieder zurück in den schmalen Koffer stecken konnte.
Erst jetzt stellte der Galerist den Spiegel zur Seite. Ihn wieder an die Wand zu hängen, dazu verspürte er keine Lust.
Er merkte deutlich, wie sehr ihn die letzten Minuten mitgenommen hatten. Sein Zittern wollte nicht verschwinden, und er war froh, sich in den Sessel setzen zu können. Dort blieb er hocken und streckte die Beine aus.
Gerard Goodrow stellte den schmalen Koffer mit dem Bild wieder in den Schrank und schloss die Tür. Er drehte sich um und blickte seinen Freund an, der nichts sagte und die Hände in den Schoß gelegt hatte.
»Das war hart, Gerard.«
»Es ist doch nichts passiert.«
»Das nicht. Nur hätte
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