1425 - Medusas Vermächtnis
ich nicht in Anspruch nehmen. Den Kaffee konnte ich unten in der Bar trinken.
Dort gab es sicherlich auch etwas zu essen.
Mit dem Gedanken fuhr ich nach unten. In der Bar herrschte um die Zeit ein mittelprächtiger Betrieb. Ich konnte meinen Platz zwischen den runden Bistro-Tischen und der Theke wählen. Ich entschied mich für die Alternative.
Die Bar war dem universellen Künstler Peter Ustinov gewidmet, der leider vor einiger Zeit verstorben war. Überall verteilt hingen seine Porträts, die bestimmte Situationen aus seinem bewegten Leben zeigten.
Mir gefiel die Atmosphäre hier. Das Stimmengemurmel war nicht zu laut. Ich saß auf einem bequemen Hocker, und man konnte sich irgendwie fallen und die Seele baumeln lassen.
Ich bestellte mir einen Kaffee und ein Sandwich mit Putenfleisch.
Ich wollte meinen Gedanken nachhängen und mich innerlich auf eine Person oder Unperson vorbereiten, die auf den Namen Medusa hörte.
Was wusste ich über sie?
Ich war kein Experte, was die griechische Mythologie anging. Ich wusste jedoch, dass sie die Schlimmste der drei Gorgonen war. Ihre beiden Schwestern hießen Stheno und Euryale, aber sie waren längst nicht so bekannt wie eben die Schlangenköpfige. Der Anblick ihres Hauptes versteinerte alle, die sie anschauten. Der Sage nach wurde sie von Poseidon geschwängert, und in der Schwangerschaft begegnete sie Perseus, der ihr abgewandten Gesichts mit einem Schwert das Haupt abschlug. Dargestellt wurde sie in der Kunst mit sehr starren Augen und manchmal auch mit heraushängender Zunge.
Berühmte Maler wie Leonardo da Vinci, Caravaggio oder Rubens hatten sie als Motiv für ihre künstlerischen Arbeit genommen. Sogar ein Oratorium war vor gut vierzig Jahren über sie geschrieben worden.
Nicht zum ersten Mal beschäftigte ich mich in meiner Laufbahn mit diesem Phänomen, und ich hatte auch nicht zum ersten Mal einen versteinerten Menschen erlebt.
Sie war also wieder da. Aber wer besaß die Macht, die alte Legende wieder auferstehen zu lassen? Was war mit diesem offenbar gestohlenen Gemälde? Hatte es wirklich das Medusenhaupt gezeigt?
Ich musste davon ausgehen. Aber ein Gemälde lebt nicht. Normalerweise nicht, obwohl ich schon besondere Überraschungen erlebt hatte. So blieb ich bei meiner Vorstellung, dass ich es mit einer Medusa oder einer Abart davon zu tun hatte.
Ich bestellte noch eine Flasche Wasser. Zugleich wurde mein bestelltes Sandwich serviert. Das Dreieck sah sehr appetitlich aus. Im Gegensatz zu seinem Erfinder, dem alten Lord Sandwich, nahm ich es nicht in die Hand, sondern aß mit Messer und Gabel.
Auf der Eröffnung waren nur Gäste mit den entsprechenden Einladungen zugelassen. Ich besaß keine, aber Sir James würde von London aus dafür sorgen, dass man mich hineinließ. Seine Beziehungen reichten auch bis in die Kunstszene hinein. Ein Mitglied seines Clubs gehörte dazu. Der Mann saß in internationalen Gremien, und so würde eine Karte für mich bereitliegen.
Die Eröffnung fand am Abend statt. Das Publikum wurde erst einen Tag später eingelassen. Das in London aller Wahrscheinlichkeit nach gestohlene Bild würde ich wohl auf dieser Messe wieder finden. Ich ging sehr bestimmt davon aus, dass es sich um ein Medusenbild handelte und dass Moses Walker deshalb gestorben war, weil er es angeschaut hatte.
Ein Bild – nicht die echte Medusa und nicht die lebende.
Das war schwer nachzuvollziehen. Aber es musste etwas dran sein, sonst wäre der Art-Loss-Mann nicht versteinert.
Die Kleinigkeit zu essen hatte mir wirklich gut getan. Zufrieden schob ich den Teller zurück und widmete mich dem Wasser. Ich ließ es aus der Flasche in das Glas laufen und dachte daran, dass ich noch jemanden finden musste, der sich auf der Messe auskannte und mich dann direkt zum Ziel führte.
Neben mir setzte sich jemand auf den Hocker. Ich schaute nach rechts und sah, dass es eine Frau war.
Blonde lockige Haare wuchsen auf dem Kopf. Die Gesichtshaut war recht hell und wirkte sehr zart. Das kleine Kinn fiel mir auf, ebenso der schlanke Hals und das fast schon klassische Profil.
Die Frau trug einen hanfgrünen Hosenanzug, und an den Fingern schimmerten zahlreiche Ringe. In den meisten Fassungen steckten blasse Steine, die ungefähr die Größe eines Siegelrings hatten und in die etwas eingraviert war.
Sie schimmerten ebenfalls in der grünen Farbe. Da die Frau ihre Finger allerdings bewegte, war es mir nicht möglich, die Motive zu erkennen. Ich hatte mit der fremden
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