1429 - Totenkopf-Ballade
strich mit einer Hand über das Dach.
»Ein schönes Auto, ehrlich. Leider kann ich mir keines leisten. Noch nicht.«
»Wir sind auch sehr damit zufrieden.«
Die Frauen stiegen ein. Die Luft stand, und so öffnete Dagmar die Fenster. Ihr fiel der ernste Gesichtsausdruck der Masseurin auf und fragte, ob sie Probleme hätte.
»Nicht direkt, Dagmar. Ich wundere mich nur über Sie und Ihre Freunde.«
»Warum das denn?«
»Dass Sie sich benehmen wie Detektive oder Polizisten.«
Auf diese Frage hatte Dagmar schon länger gewartet. »Es kann sein, dass wir so etwas Ähnliches auch sind, Jana. Aber das sollten Sie für sich behalten.«
Sie staunte nur und sagte dann: »Und ob ich das für mich behalte! Diese beiden Polizisten bekommen von mir nur das zu hören, wonach sie mich gefragt haben.« Sie bestätigte ihre Antwort durch ein kräftiges Nicken. »Darauf können Sie sich verlassen.«
»Danke.«
»Wir sind Verbündete?«
»Auf jeden Fall.«
»Wäre nicht so etwas Schreckliches passiert, hätte ich ein besseres Gefühl. Schlimm, nicht wahr?«
»Nein, nein, das ist menschlich.«
Den Parkplatz hatten sie inzwischen verlassen. Jana gab Dagmar an, wie sie zu fahren hatte.
Dass Marienbad ein Kurort ist, war auch jetzt zu merken. Wenn Autos fuhren, dann rollten sie langsam. Es gab niemanden, der hupte, keiner fuhr schnell, und auch Dagmar hielt praktisch etwas mehr als ein Schritttempo bei. Sie fuhr selten schneller als dreißig Kilometer die Stunde.
Der pensionierte Pfarrer wohnte nicht an einer breiten Straße, wo die Hotels und Kureinrichtungen standen, sondern etwas am Hang, inmitten einer grünen Lunge, zu der ein Weg hinaufführte.
Auch hier standen alte Häuser, die allerdings kleiner waren als die Bauten in der Innenstadt. Nicht alle waren renoviert worden, aber an vielen wurde gearbeitet.
»Es tut sich was«, sagte Jana.
»Und Sie freuen sich, nicht wahr?«
»Klar. Die Touristen bringen Geld. Hier kann man noch recht preiswert kuren.«
»Das ist wohl wahr.«
Die Sonne schien nicht mehr so intensiv gegen die Frontscheibe, denn ihr Licht wurde vom Laub der Bäume gefiltert, und so erschien auf der Glasfläche ein Fleckenmuster, dessen Aussehen ständig wechselte.
»Wo endet die Straße?«
»Weiter oben. Dort lebt auch der Pfarrer.«
»Wie heißt er?«
»Alvin Schäfer.«
»Deutscher?«
»Fast. Er stammt aus dem Sudetenland und hat sich entschlossen, nicht nach Deutschland zu gehen, als der Zweite Weltkrieg beendet war. Er hat hier seine Gemeinde gehabt und alle Zeiten durchlebt.«
»Wie alt ist der Marin denn?«
»Fast neunzig.«
»Oje…«
»Keine Sorge, Dagmar. Wenn jemand noch fit im Kopf ist und sich an viele Dinge erinnern kann, dann er. Was Geschichte angeht, ist er ein wandelndes Lexikon. Besser als das Internet. Vor allen Dingen persönlicher, wenn Sie verstehen.«
»Bestimmt.«
»Er hat auch zwei Bücher geschrieben, deren Inhalte sich mit der Vergangenheit beschäftigen, und er ist jetzt dabei, einen Bildband zu erstellen, habe ich gehört.«
»Sie kennen ihn aber gut.«
Jana lachte. »Ja, es gab mal eine Zeit, da hat er sich von mir massieren lassen. Sein Arzt hat ihn zu mir geschickt. Ich habe ihn als einen konservativen, aber auch tollen Menschen erlebt, der immer ein offenes Ohr für andere Menschen hatte.«
»So sollte es in dem Beruf auch sein«, erklärte Dagmar, ohne näher darauf einzugehen. Dafür kümmerte sie sich um die Straße, die jetzt eine Linkskurve beschrieb, sich verengte und dunkler wurde, weil die Bäume noch dichter standen.
»Hier ist es?«
»Ja, Sie können schon anhalten. Stoppen Sie ruhig am Straßenrand. Hier kommt sowieso niemand hin.«
»Wie Sie meinen.«
Dagmar hielt an. Die Frauen stiegen aus und fanden sich in der Natur wieder. Sie hörten das Zwitschern der Vögel, nahmen den Duft der Sommerblumen auf und schritten über einen schmalen Weg unter den Bäumen her, die bald aufhörten. So war der Blick frei auf das kleine Grundstück mit dem ebenfalls kleinen Haus in der Mitte.
Dagmar Hansen schüttelte den Kopf. »Das ist ja wie im Märchen«, murmelte sie.
Jana hob die Schultern. »Fast wie im Märchen. Im Prinzip stimmt es. Eine Idylle. Nur habe ich so meine Probleme mit den Märchen. Nicht alle gehen gut aus.«
»Da kann ich nicht widersprechen.«
Dagmar ließ die Masseurin vorgehen.
Wieder wunderte sie sich darüber, wie locker und leicht sich die Frau bewegte. Sie schlängelte sich an den Büschen vorbei, die einen schmalen Weg
Weitere Kostenlose Bücher