143 - Alraunen-Spuk
heraus, daß durch sie eine Vermehrung an Reichtum
jederzeit möglich ist...«
Die junge Engländerin nahm den Wurzelmann vorsichtig
in die Hand.
»Halte ihn in Ehren. Erinnere dich stets an diesen
Abend, wo wir zum ersten Mal gemeinsam lange unterwegs waren. Ich liebe dich!
Ich weiß es genau... Das sind keine leeren Worte, die man einfach nur so
dahinsagt, um mit einem Mädchen ein flüchtiges Abenteuer zu erleben. Ich weiß
nicht, wie du zu mir stehst...«
Delerue wollte noch etwas hinzufügen. Doch Sheila
Hovman unterbrach ihn mitten in seinen Ausführungen. »Und du meinst nun, mit
diesem >Zaubermittel< meine Liebe zu wecken oder - zu stärken...« Sie
senkte den Blick. »Auch ich mag dich sehr gern, Jean-Baptiste. Ob es Liebe
ist?« Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß es noch nicht - aber ich wünsche es
mir! Ich muß, seit ich dich gesehen habe, ständig an dich denken, und ich bin
glücklich, wenn ich in deiner Nähe bin. Es wäre schön, dieses Gefühl immer zu
haben...«
Sie blickte gedankenverloren auf das Wurzelmännchen
und sprach leise weiter. »Das alles kommt ganz allein aus mir heraus. Ich
glaube, da ist es nicht notwendig, mit einem Talisman nachzuhelfen...«
Sie warf plötzlich den Kopf hoch, fuhr sich durch die
Haare und lachte schallend.
»Du möchtest es also - nicht?« fragte er enttäuscht.
»Nein! Das hast du ganz falsch verstanden«, beeilte
sie sich schnell zu erwidern. »Ich möchte es selbstverständlich gern von dir
haben. Es ist ein originelles Geschenk. Was ich sagen wollte, war, daß es
keiner Hilfsmittel bedarf, um meine Liebe zu wecken. Sie ist einfach da! Das
ist wunderschön... findest du nicht auch?«
Sheila fühlte sich frei und unbeschwert, wie nie zuvor
in ihrem Leben. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals so offen zu jemand
gesprochen zu haben. Und auf einmal konnte sie es. Es war wie ein Wunder.
Sie hätte später nicht mehr zu sagen vermocht, wie es
eigentlich gekommen war.
Sie fiel Jean-Baptiste um den Hals und preßte ihren
heißen Mund auf seine Lippen.
Nicht minder heiß erwiderte er ihren Kuß.
Und plötzlich war es ihr egal, ob sie noch eine, zwei
oder drei Stunden unterwegs waren. Sie wollte mit ihrem Vater sprechen und ihm
erklären, daß sie sich verliebt hatte und meinte, in Jean-Baptiste den Mann
fürs Leben gefunden zu haben.
Vorsichtig verstaute sie die Alraunwurzel in der
Tasche ihres Übergangsmantels, den sie trug.
»Muß ich dabei etwas beachten?« fragte sie leise. »Muß
ich ihn in eine Vase stellen und regelmäßig gießen? Oder braucht er Licht?«
»Du kannst ihn einfach irgendwo in deinem Zimmer
aufbewahren oder stets bei dir tragen. Er soll von nun an dein Talisman sein.«
Während sie diese Worte wechselten, gingen sie
nebeneinander her. Jean-Baptiste Delerue kam nicht dazu, das Gespräch zu
beenden.
Sheila gab plötzlich einen spitzen, markerschütternden
Schrei von sich und riß blitzschnell ihre rechte Hand vor den Mund, als wäre
sie vor ihrem eigenen Schrei erschrocken.
»Sheila?! Cherie! Was ist denn?« Aufgeregt drangen die
Worte über die Lippen des Franzosen.
Er umfaßte ihre Hände und merkte, wie sie zitterte.
Die Innenflächen wurden feucht. Schweiß brach aus ihren Poren - Schweiß, der
eiskalt war...
Sheila Hovman war blaß wie eine
»Jean«, kam es wie ein Hauch über ihre Lippen. »Den...
Schatten... hast du ihn nicht... auch gesehen?«
Sie stotterte, und ihre Zähne schlugen aufeinander,
als ob sie fröre.
Gehetzt blickte sie nach links und rechts, nach oben
und unten.
»Was ist denn? Was hast du denn? Was siehst du?«
Abgehackt stieß er seine Fragen hervor.
Ihre fiebrig glänzenden Augen blickten starr. Sie
waren auf einen Baum gerichtet, der abseits des Weges stand, den sie gingen. In
dem diffusen Licht, das sie umgab, wirkte dieser Baum in seiner pittoresken
Bizarrheit beinahe unheimlich.
Weit hatte er seine knorrigen Äste vorgestreckt, und
die dünnen, abstehenden Zweige schienen wie Klauenhände zu greifen.
»Ein Schatten... er fiel hier... über die Straße,
Jean... und das Merkwürde daran... der Schatten hatte die Form -der
Alraunwurzel, die du mir eben geschenkt hast. Nur - viele hundert Mal
größer...«
Er lächelte sie an. »Du bist müde, Sheila. Du hast
geträumt...«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein!«
»Dann muß mir wohl für einen Augenblick etwas
entgangen sein«, schwenkte er rasch auf ihre Richtung ein. »Wahrscheinlich ist
die Wolkendecke aufgerissen, und die
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