143 - Alraunen-Spuk
herum war es stockfinster.
Ihr Herz schlug wie rasend, und im ersten Moment
fürchtete sie, in ein Verlies zu stürzen, in dem sie sich bei diesem
unerwarteten Fall sämtliche Knochen brach.
Doch nichts dergleichen geschah.
Kaum, daß sie in das Licht fiel, spürte sie schon den
glatten, sanft absteigenden Boden unter sich, auf dem sie wie auf einer
Rutschbahn weiter in ungewisse Tiefe glitt.
Plötzlich war die Bewegung zu Ende. Der Boden unter
ihr war hart, glatt und kalt.
Eine halbe Minute lang blieb Morna schnellatmend
liegen, bis sich ihre Angst wieder gelegt hatte.
Sie tastete den Boden ab und die Wände. Sie stellte
sich aufrecht und versuchte die Decke zu erreichen. Das war nicht möglich. Der
Raum oder der Stollen, in dem sie sich befand, war hoch genug, daß sie sich in
voller Größe aufrichten konnte.
X-GIRL-C hatte alles dabei. Ihre Handtasche war ihr
beim Sturz in die Tiefe nicht entfallen. Darin befand sich der kleine
Damenrevolver Marke Smith & Wesson-Laser und eine handliche Taschenlampe.
Die ließ sie jetzt aufflammen.
Die PSA-Agentin entdeckte Nischen und dahinter
winzige, vergitterte Fenster. Offensichtlich handelte es sich hier um eine Art
Verlies, direkt hinter der Außenmauer des gespenstigen-Somorrynn-Castles. Da
entdeckte die Gefangene einen Gang, der nach links abzweigte, etwas kleiner und
niedriger war als der, durch den sie kam.
Der kleinere Stollen war abgerundet und mit
Felssteinen gemauert. Er sah beinahe aus wie eine gemauerte Röhre.
Der Geruch von feuchter Erde und Wurzelwerk stieg in
ihre Nase.
Und dann wunderte sie es nicht mehr, daß es nach
Wurzeln und Erde roch. Gleich neben der Abzweigung in diesen Stollen gab es
eine Nische, in der sich eine mannsgroße Baumwurzel befand.
Morna ging erstaunt einen Schritt weiter nach vorn, um
sich diese Wurzel aus nächster Nähe anzusehen.
Im Licht der Taschenlampe erkannte sie auf den ersten
Blick, daß es die größte Alraunwurzel war, die sie je gesehen hatte. Daß es
einen Giganten dieser Größe gab, hätte sie nie für möglich gehalten.
Dann geschah etwas Unheimliches. Die Wurzel bewegte
sich. Die verzweigten Hände kamen nach vorn und berührten die Schwedin, ehe die
Agentin schnell genug einen Schritt ausweichen konnte, um sich aus der
Gefahrenzone zu bringen.
X-GIRL-C, schoß noch. Zwei-, dreimal aktivierte sie
die Laserwaffe, so daß die grellen Strahlen sich in das Wurzelwerk fraßen,
kurze Flammenzungen aufleckten, aber sofort wieder erloschen, als könne sich
die Substanz nicht entzünden.
Die gespenstige Alraun drehte ihren knolligen Kopf und
schien die Schwedin anzustarren, die zurücktaumelte und voller Entsetzen eine
zunehmende Schwäche spürte, die ihren Körper erfüllte.
Wie bei all den anderen Opfern, die die Alraun bisher
berührt hatte, liefen die Dinge auch bei Morna Ulbrandson ab.
Ihre Haut wurde hart und trocken. Sie alterte von
einer Minute zur anderen um mehr als fünf Jahrzehnte. Mit dem Alter kam die
Schwäche, der niemand entging. Morna Ulbrandson fiel zu Boden, fühlte das
Zittern in ihren Gliedern und sah die runzligen Hände, von denen sie glaubte,
daß die nicht mehr zu ihr gehörten.
Auf dem Boden liegend beobachtete die schnellatmende,
greise Schwedin, wie die Riesenalraun sich aus der Nische stieß und den Stollen
weiterging, den Morna vorhin gekommen war...
Die rätselhafte, menschengroße Alraun wandte sich
nicht ein einziges Mal um.
*
Um Jeremy Holidans Lippen spielte ein teuflisches
Grinsen.
Er starrte auf die Stelle, wo Morna Ulbrandson
verschwunden war, löste sich dann mit einer halben Umdrehung und lief den
Korridor entlang, Richtung Licht, das von einer Kerze stammte, die auf einem
schweren, schmiedeeisernen Ständer thronte, der
wiederum einen Türeingang flankierte.
An der Tür gab es einen eisernen Klopfer, den Holidan
einmal betätigte.
»Ja! Kommen Sie schon herein! Schließlich habe ich Sie
erwartet.« Die Stimme dahinter klang dunkel und weich. Es war die gleiche
Stimme, die sich vorhin am Telefon gemeldet hatte.
Holidan drückte die Klinke herab. Der Raum dahinter
war eingerichtet, wie die privaten Gemächer einer Königin in einem besonders
schönen Palast.
Wer draußen das Castle sah, hätte nie für möglich
gehalten, daß sich hier drin ein Raum in solcher Pracht befände.
Die Wände waren handbemalt mit leuchtenden Farben und
zeigten Szenen aus der Zeit des achtzehnten Jahrhunderts. Man sah junge
Menschen in heller Kleidung, die in wunderschönen
Weitere Kostenlose Bücher