1433 - Der Engel, die Witwe und der Teufel
glauben.«
»In der Regel schon.«
Sie lächelte mich noch einmal an, bevor sie sich zur Seite drehte.
Dann ging sie auf das Grab zu…
***
Ich war wirklich gespannt, ob sich hier etwas zeigte. Ich sah mein Kreuz als eine Brücke zwischen den Dimensionen an. Es sollte eine Verbindung zwischen zwei Welten schaffen, wobei ich bei der anderen nicht vom Totenreich ausging.
Sie schritt sehr langsam und war auch unsicher. Das fiel mir auf, obwohl ich nur ihren Rücken sah. Bevor sie das Grab endgültig betrat, zögerte sie kurz.
Dann setzte sie den rechten Fuß auf die weiche Erde und zog den anderen rasch nach.
Durch die zahlreichen Geschenke war es nicht einfach, sich normal auf dem Grab zu bewegen. Man musste schon sehr aufpassen, um nicht auf oder gegen sie zu treten. Viel Platz für die Füße war nicht vorhanden.
Das wusste auch Kate Finley. Dementsprechend verhielt sie sich.
Bevor sie einen Schritt nach vorn ging, schaute sie jedes Mal nach unten. Und sie hielt das Kreuz weiterhin fest. Aber sie hielt es so, dass ich als Zuschauer das Gefühl haben konnte, dass sie sich daran festhielt und es so etwas wie ein Halt für sie war.
Ich wusste natürlich nicht, ob mein Versuch von Erfolg gekrönt sein würde. Aber es war immerhin besser, als nichts zu tun. Okay, ich selbst hätte auch mit meinem Kreuz das Grab betreten können, aber davon hatte ich bewusst Abstand genommen. Denn es war Kate Finley, die eine persönliche Beziehung zu dem Toten besaß und nicht ich.
Sie ging auf dem Grab entlang, und noch passierte nichts. Kate hielt sich gut. Sie war immer sicherer geworden. Sie hielt auch weiterhin den Kopf gesenkt, als wartete sie darauf, dass sich jeden Moment das Grab öffnen und ihr Mann als lebender Toter aus der Tiefe steigen würde.
So etwas trat nicht ein.
Aber etwas anderes passierte.
Kate Finley blieb stehen, was auch mich überraschte, denn einen triftigen Grund hatte ich nicht gesehen. Ich wollte sie auch nicht fragen, sondern wartete darauf, dass sie einen Kommentar abgab.
Noch sagte sie nichts. Sie stand auf dem Fleck und blickte sich zunächst um. Sie schaute über den Rand des Grabes hinweg und ließ ihren Blick auch in die Höhe gleiten, als erwartete sie eine Botschaft vom Himmel.
Ich beobachtete derweil mein Kreuz. Es hatte sich bisher nicht verändert.
Ob es sich erwärmt hatte, konnte ich natürlich nicht sagen, aber es leuchtete zumindest nicht, und es wurde von der Frau noch immer wie ein Anker gehalten, der ihr den nötigen Halt geben sollte.
Bisher hatte sie an mir vorbeigeschaut. Plötzlich drehte sie den Kopf in meine Richtung.
Unsere Blicke trafen sich. Ich musste nicht näher an das Grab herangehen, um zu erkennen, dass sich in ihren Augen etwas verändert hatte. Ich trat trotzdem bis an den Rand und stellte meine Frage.
»Ist etwas passiert, Mrs Finley?«
Sie hob die Schultern. »Das kann ich nicht sagen«, gab sie mit leiser Stimme zurück.
»Aber…?« Ich entnahm ihrem Verhalten, dass eine Veränderung stattgefunden haben musste.
»Das Kreuz ist etwas wärmer geworden.«
»Sehr gut.«
»Warum sagen Sie das? Hat das etwas zu bedeuten?«
»Vielleicht.«
»Und was soll ich jetzt tun?«
»Einfach nur auf dem Grab bleiben.« Ich hatte es natürlich leichter als sie und sah, dass Kate die Augen schloss.
Dann gab sie mir eine Antwort. »Sie glauben gar nicht, was das für ein Gefühl ist, unter meinen Füßen den toten Körper meines Mannes zu wissen. Das ist Wahnsinn. So etwas hätte ich mir normalerweise nicht träumen lassen, Mr Sinclair.«
»Ich weiß, aber Sie müssen durchhalten.«
»Das werde ich auch.«
»Dann gehen Sie ruhig weiter. Schreiten Sie das Grab ab. Gehen Sie auch in die Nähe des Steins.«
»Ja, wie Sie meinen.«
Wieder ging sie mit sehr kleinen Schritten. Bisher hatte sie noch keines der Geschenke umgestoßen, und dabei blieb es auch. Das Kreuz hatte sie vorgestreckt, als hielte sie eine Wünschelrute in den Händen.
Kate Finley hatte den Grabstein noch nicht ganz erreicht, da blieb sie plötzlich stehen. Es war, als hätte sie einen kurzen, aber heftigen Schlag erhalten.
Nicht nur sie schrak zusammen, mich erwischte es ebenfalls, denn ich wusste, dass etwas Besonderes ablief. Kate Finley drehte mir das Profil zu. Es sah wie erstarrt aus, aber das Kreuz hatte sich nicht verändert. Es sandte auch kein Licht ab.
»Bitte, Mr Sinclair, Sie müssen mir helfen.«
»Um was geht es denn?«
»Das Kreuz. Es – es – hat sich verändert. Ich
Weitere Kostenlose Bücher