1435 - Tödlicher Frost
geworden. Bestimmt hatten sich die Wolken am Himmel verdichtet.
Jasper kannte sich aus. Wenn hier der Schnee fiel, dann richtig.
Dann war plötzlich die Welt eine ganz andere geworden. Da fielen Massen vom Himmel, und es dauerte nicht lange, dann bedeckte ein helles Leichentuch den Boden.
Das wäre noch akzeptabel gewesen. Etwas anderes jedoch war viel schlimmer. Bei starkem Schneefall brachten auch die besten Lampen nichts. Ihr Licht würde vergebens gegen den Wirbelsturm aus hellen Flocken ankämpfen. Als Mensch lief man da blind durch die Gegend.
Bisher war das Treiben noch nicht so dicht geworden. Noch sah er die beiden Soldaten in der Nähe. Mit ihren schützenden Fellmützen auf den Köpfen wirkten sie wie Fremdlinge von einem anderen Planeten.
Seine Kameraden taten ihre Pflicht. Das war auch gut so. Eine absolute Sicherheit empfand er trotzdem nicht. Da blieb ein verdammt mulmiges Gefühl zurück.
Seine Bude war eng. Wenn er sich beim Umdrehen nicht vorsah, stieß er mit dem Rücken gegen den Rand des Waschbeckens. Früher hatte er sich einige blaue Flecken geholt. Jetzt nicht mehr. Es war alles nur Gewöhnungssache. Und in diesem Fall lehnte er sich sogar gegen den Beckenrand und schaute zur Tür.
Es war sein Instinkt gewesen, der ihn so hatte handeln lassen. Vielleicht auch so etwas wie eine Vorwarnung, denn von der Tür her hörte er ein Geräusch.
Es passte nicht in die Stille. Der Klang schwerer Stiefeltritte hätte ihn beruhigt, nicht aber dieses seltsame Kratzen in Schlosshöhe. Da es nicht verstummte, ging er davon aus, dass sich jemand an der Tür zu schaffen machte.
Öffnen oder nicht?
Eine Entscheidung wurde ihm abgenommen, denn die abgewetzte Klinke bewegte sich nach unten.
Jemand drückte die Tür auf und trat über die Schwelle, und dem Fahrer blieb beinahe das Herz stehen…
***
Der Schamane war da!
Der uralte Mann mit einem Gesicht, das fast nur aus Falten bestand. Er ging noch einen Schritt nach vorn und verursachte dabei kein einziges Geräusch.
Er hatte den winzigen Raum betreten, aber er hatte noch etwas mitgebracht. Ein eisiger Hauch wehte in den Raum und verteilte sich zwischen den vier Wänden.
Dem eisigen Hauch konnte Jasper nicht entgehen. Er stand auf der Stelle und fror. Nur war es kein normales Frieren. Er zitterte nicht.
Er klapperte nicht mit den Zähnen. Er hatte nur das Gefühl, dass etwas in ihn eindrang, das nicht sichtbar war. Es war schleichend, und es erwischte zuerst seine Füße, um danach langsam in die Höhe zu wandern.
Jasper wusste Bescheid. Das Einzige, was ihn jetzt noch vor dieser alten Gestalt retten konnte, war eine schnelle Flucht. Sein Gehirn gab diesen Befehl an die Beine weiter. Nur blieben sie, wo sie waren.
Jasper konnte sich nicht mehr bewegen. In seinen Beinen hatte sich bereits das »Eis« festgesetzt, und es würde auch nicht so schnell wieder tauen.
Der Fremde ging weiter. Er schlich. Er war so gut wie nicht zu hören. Er atmete auch nicht. Er brachte nur die verfluchte Kälte mit, die an Jasper hoch kroch, den Weg über die Hüften bereits hinter sich gebracht hatte und sich nun dem Herzen näherte, das sich dagegen sträubte und anfing wild zu klopfen.
Jasper stöhnte auf. Ihm war jetzt richtig bewusst geworden, dass er hier nicht mehr wegkam. Die andere Seite, wer immer sie sein mochte, war stärker.
Die Arme konnte er noch bewegen. Er bekam sie hoch und streckte sie dem Eindringling entgegen, wobei er genau wusste, dass er den Uralten nicht aufhalten konnte.
Das Schamanengesicht war wirklich ein Muster aus Falten. Jasper kannte einige Mongolen, die so aussahen, aber er musste auch zugeben, dass dieser Eindringling kein Mongole war. Der musste einem anderen Volk entstammen, das Ähnlichkeit mit ihm hatte.
Er schaute in die Augen des Fremden.
Eis – ja, sie waren wie Eis, schon leicht angetaut und im Begriff zu schmelzen.
»Ich will nicht«, flüsterte Jasper. »Verdammt noch mal, ich will nicht! Hau wieder ab! Ich kann dich nicht sehen, und ich will dich auch nicht mehr sehen!«
Der Uralte kümmerte sich nicht darum. Er schob sich näher, und auf dem Fußboden war ein scharfes Schleifen zu hören.
Der nächste Kälteschock erwischte Jasper. Diesmal wurden seine Arme und Hände steif. Er konnte sie nicht mehr senken. Er musste in dieser Haltung bleiben.
Die Kälte – die verdammte Kälte fraß sich weiter und immer noch höher.
Der Hals, der Mund mit den Lippen, die innerhalb von Sekunden zu kalten Schläuchen
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