1436 - Der Höllensohn
herzustellen, und Karina Grischin gehörte zu denen, die kräftig mitmischten.
Ärzte waren mittlerweile eingetroffen. In ihren weißen Kitteln wirkten sie wie bleiche Gespenster. Man transportierte die Verletzten ab, und die Neugierigen waren ziemlich weit in den Hintergrund gedrängt worden, wo sie nicht störten.
Auf dem Boden lagen noch zwei Tote. Einmal die Attentäterin und zum anderen der Mann mit dem zerschossenen Kopf. Man deckte die Leichen erst mal ab.
Ich stand noch immer an der Wand. Man schien mich vergessen zu haben, doch als ich nach links schaute, sah ich einen Uniformierten, der mich mit der Waffe bedrohte.
Dann hatte mich auch Karina Grischin entdeckt. Sie sagte etwas zu einem Offizier und deutete auf mich. Als der Mann nickte, kam sie auf mich zu. In ihrem Gesicht las ich die Anspannung, unter der sie noch immer stand. Sie atmete heftig und strich die brauen Haare zurück.
»Tut mir Leid, John, aber damit hätte ich nie und nimmer gerechnet. Unsere Kontrollen sind gut, musst du wissen.«
»Nichts ist perfekt.«
»Trotzdem, ich…« Sie schüttelte den Kopf und schaute zu der abgedeckten Leiche der Attentäterin hin. »Das ist eine völlig neue Dimension des Anschlags. Ich weiß nicht, was sie dazu getrieben hat. Mit einer Bombe am Körper hätte sie zahlreiche Menschen töten können, aber so hat sie nicht eben viel erreicht.«
»Ich denke, dass sie das gar nicht wollte. Und es war auch irgendwie nicht sie, die das getan hat.«
»Ach«, wunderte sich die Russin. »Weißt du etwa mehr?«
»Unter Umständen.«
»Wie – wie das?«
»Es war nicht sie, Karina, es war etwas in ihr, und dieser Anschlag war mehr ein Hinweis für mich oder für uns.«
Sie brauchte nicht lange, um es zu begreifen, und sie bekam dabei eine Gänsehaut.
»Du meinst, dass der Schamane…?«
»Nicht er, sein Geist!«
Karina Grischin gab zunächst keine Antwort. Sie schluckte, das sah ich deutlich. Schließlich raffte sie sich zu einer Frage auf. »Und du hast dich nicht getäuscht, John?«
»Davon gehe ich aus.«
Sie zweifelte weiterhin. »Wie kannst du dir so sicher sein?«
Ich legte die Karten auf den Tisch. Die große Unruhe um mich herum hatte ich vergessen. Es gab nur noch uns beide, und ich erzählte von der fremden Stimme, die aus dem Mund der Sterbenden gedrungen war.
»Es war nur diese eine kurze Botschaft, Karina, danach starb die Frau. Ich weiß es, du weißt es, und ich überlasse es dir, wie du dein Wissen verwerten willst, aber lass dir gesagt sein, dass ich mich nicht geirrt habe.«
»Bitte, daran habe ich wirklich keinen Augenblick gedacht. Ich war nur leicht durcheinander, was verständlich ist, obwohl wir dar über gesprochen haben, dass nur der Körper des Schamanen vernichtet wurde. Ich habe trotzdem meine Probleme damit. Es ist nicht leicht, dies hinzunehmen. Ein Geist, der unterwegs ist und dann Menschen übernimmt.«
»Das ist auch schwer zu verstehen«, gab ich zu. »Aber so liegen die Dinge nun mal. Ich habe es leider auch auf eine andere Art und Weise erleben müssen.«
»Bei wem?«
»Saladin…«
»Ja, davon hast du mir erzählt.« Sie runzelte die Stirn. »Siehst du beide auf gleicher Ebene?«
»Nein, es gibt da schon Unterschiede. Nur dürfen wir beides nicht unterschätzen.«
»Das sehe ich ein.« Sie schaute mich besorgt an. »Dann müssen wir wahrscheinlich davon ausgehen, dass du auf der Liste des Schamanengeistes stehst.«
»Ja.«
»Und jetzt…?«
Ich wusste, was Karina Grischin meinte. Sie sprach es bewusst nicht aus. Sie holte tief Atem, als wollte sie sich beruhigen, aber das schaffte sie nicht so leicht.
»John, ich habe Angst um dich.«
»Ach je, das bin ich gewohnt. Davon kann ich mich nicht beeinflussen lassen. Es gibt so viele Feinde, die mir im Nacken sitzen, da kann ich mich nicht um jeden einzelnen kümmern. Was kommt, das kommt. Das weißt du.«
»So meine ich das nicht. Es geht um dich persönlich in dieser extremen Lage. Er kann dich ja immer wieder angreifen. Das hier war zunächst ein Vorspiel. Oder siehst du das anders?«
»Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht.«
Sie tippte mir gegen die Brust. »Das solltest du aber. Es ist ungemein wichtig. Du befindest dich nicht in London, sondern in einer fremden Umgebung. Hier bist du nicht so sicher wie…«
»Ich bin vor ihm nirgendwo sicher.«
»Schon…«, sie wusste nicht genau, wie sie es loswerden sollte.
»Wenn du noch bleiben könntest, hier in Moskau, dann bist du nicht allein.
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