1438 - Kinder der Retorte
euch gut ins Gedächtnis ein, denn danach trete ich wieder zurück in die Anonymität."
Bis jetzt hatte Aribo an sich halten können. Aber jetzt, als noch zwei weitere Lichtflecke die Dunkelheit durchbrachen und Körperteile des Cantaro enthüllten, wurde die Angelegenheit auch ihm zu gespenstisch.
Während die erste Lichtquelle noch immer seine Mundpartie zeigte, enthüllte die zweite eine kreisrunde Metallfläche etwa in Hüfthöhe des Cantaro. Dieses Modul war anthrazitfarben und besaß eine viereckige Erhöhung, die von einer transparenten Kuppel abgeschlossen wurde, unter der eine grünliche Flüssigkeit brodelte. Aribo stieß Plinal an und prägte sich das Merkmal auch selbst ein.
Zuletzt wurde noch ein handtellergroßes Viereck am Körper des Cantaro sichtbar, das sich, an den Proportionen eines Humanoiden gemessen, in Schulterhöhe befinden mochte. Dort ragte ein fingerlanger metallener Stab heraus, wie von einem fluoreszierenden Ölfilm überzogen; ein dunkler Schatten, offenbar die unbeleuchtete Hand des Cantaro, legte sich auf diese mechanische Hervorhebung und drückte sie nieder, so daß sie im Körper verschwand und das Endstück eine Fläche mit der Haut bildete. „Das war's", sagte abschließend die Stimme von Clynac, dem Klonjäger.
Daraufhin erloschen die drei Markierungslichter, völlige Dunkelheit senkte sich über den Vortragssaal, und als es wieder hell wurde, war von dem Cantaro nichts mehr zu sehen.
*
Nach dieser Konfrontation war die Stimmung unter den Klonen entsprechend angespannt. Das heißt, das Gefühl der Spannung stellte sich nur bei ihm, Plinal und noch ein paar anderen ein, die überwiegende Mehrheit ihres Jahrgangs gab sich ruhig und gelassen. „Was wird mit uns passieren?" fragte Plinal zum xtenmal, nachdem sie in den Gemeinschaftsraum zurückgekehrt waren.
Und Aribo gab die stereotype Antwort: „Wir werden sehen. Durchaus möglich, daß wir gar nicht auf der schwarzen Liste stehen. So schlecht haben wir bisher nicht abgeschnitten."
„Du hast gut reden, weil du alle Tests mit Vorzug bestanden hast und auf ein lupenreines Gesundheitsattest verweisen kannst", sagte Plinal mit gepreßter Stimme; er sah sich beim Sprechen furchtsam um, ob sie auch nicht von einem der anderen gehört oder beobachtet wurden. Solche vertraulichen Gespräche waren unter den Kommilitonen der höchsten Ausbildungsstufe verpönt. Nur Außenseiter tuschelten miteinander, der rechte NeoÄra hatte dagegen keine Geheimnisse, und was er zu sagen hatte, das konnte er laut und für alle hörbar sagen. Mit fast weinerlicher Stimme fügte Plinal hinzu: „Aber was habe ich vorzuweisen? Ich bin ein Versager."
Aribo biß sich auf die Lippen. Als er sich dieser Verlegenheitsgeste jedoch bewußt wurde, straffte er sofort wieder sein Gesicht und gab ihm einen unbeteiligten Ausdruck, an dem alles abzuprallen schien - nur keine Gefühlsregung zeigen! hieß das erste Sicherheitsgebot. „Jetzt reiß dich zusammen, mein Freund", raunte er Plinal zu. „Da kommen Servon und Candar."
Als Plinal das hörte, blickte er sich gehetzt um und wollte beim Anblick der beiden Mitschüler panikartig Reißaus nehmen. Aribo hielt ihn jedoch am Ärmel zurück und sagte: „Ganz ruhig. Die beiden können uns nichts mehr. Wir haben es bald überstanden."
Servon und Candar waren die besten ihres Jahrgangs, allen anderen haushoch überlegen, und sie prahlten damit, daß sie jederzeit spielend von sich selbst und jedem beliebigen anderen Ebenbilder klonen könnten. Aber so überlegen sie den anderen auch waren, es störte sie, daß der von Gestalt eher unscheinbare Aribo mit dem drittbesten Testergebnis gleich hinter ihnen eingereiht wurde.
Candar schien Aribo und Plinal gar nicht zu bemerken, aber Servon stieß ihn an und steuerte mit ihm in ihre Richtung. „Ich begreife es immer noch nicht, daß ein Kretin wie du so relativ überdurchschnittlich abgeschnitten haben soll", sagte Servon, indem er aus schmalen roten Augen auf Aribo herabblickte. „Aber die Wahrheit kommt an den Tag, und wenn es soweit ist, dann ersuche ich um den Vorzug, dich eigenhändig auf den Bio-Müll werfen zu dürfen."
In Servons Gesicht regte sich während des Sprechens kein Muskel, nicht der Anflug von Spott oder Gehässigkeit schwang in seiner Stimme mit; er drückte nur aus, was seine feste Überzeugung war. „Wer hat gesagt, daß in einem verkrüppelten Klon nur ein schwacher, krummer Geist leben kann?" sagte Candar in der gleichen
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