1439 - Totenfeld
einen Pfahl. Es muss also jemanden geben, der dies getan hat, und der existiert, das sage ich Ihnen.«
Anna nickte. »So denke ich auch.«
»Haben Sie denn einen Verdacht?«, wollte ich wissen.
»Nein, den habe ich nicht. Ich gehe davon aus, dass es etwas Nichtmenschliches ist. Ein Wesen, das es eigentlich nicht geben kann und trotzdem existiert. Verstehen Sie, was ich damit andeuten will?«
»Schon«, sagte ich. »Ich habe da noch eine andere Frage, Anna.«
»Bitte.«
»Mit wem haben Sie über diesen Fall gesprochen? Wem haben Sie sich offenbart?«
»Keinem.«
»Ach«, wunderte sich Jane. »Auch Sarah Goldwyn nicht, wo Sie doch so gut befreundet waren?«
Anna senkte den Kopf und schüttelte ihn dabei. »Nein, ich habe auch ihr nichts gesagt. Ich wollte noch nachdenken. Ich habe mich auch nicht getraut, weil ich befürchtete, von ihr ausgelacht zu werden. Ich habe nur allgemein über Dämonen gesprochen, die sich an Leichen vergehen. Da hat sie mir den Begriff Ghoul genannt. Ja, so war das.«
»Dann sind wir die Ersten, mit denen Sie so direkt über den Fall reden?«
»Genau, John.«
Ich wusste nicht, ob ich das als eine Ehre ansehen sollte. Jedenfalls konnte man nicht eben von einem kleinen Problem sprechen. Ich wollte auch wissen, ob nicht im Ort über den Acker geredet worden war.
»Schon, doch nur hinter vorgehaltener Hand. Man hat sich nicht getraut und war froh, wenn die Leichen wieder verschwunden waren. Man hat sie nicht gefunden, abgesehen davon, dass man auch nicht groß nach ihnen gesucht hat. Niemand weiß, wo sie sein könnten.« Sie ballte die Hände. »Ich bin eine alte Frau. Trotzdem möchte ich noch einige Jahre leben, und ich will nicht, dass es noch weitere Tote gibt, die plötzlich an den Stangen hängen. Aus diesem Grund habe ich etwas getan, was nicht rechtens ist.«
»Was denn?«, fragte Jane.
Die Antwort musste eine Qual für Anna Bancroft sein. Sie senkte den Kopf und konnte uns nicht direkt die Wahrheit sagen. Dafür stand sie plötzlich und ruckartig auf.
»Was ist jetzt?«, fragte Jane leise.
»Kommen Sie mit. Ich möchte Ihnen etwas zeigen. Wir werden hier im Haus bleiben.«
»Bitte.«
Hoch aufgerichtet ging Anna Bancroft vor uns her. Schon ihre Haltung deutete an, dass sie nicht aufgeben wollte. Wir mussten zurück in den kleinen Flur und wandten uns dann nach links. Vor einer Tür blieb Anna stehen.
»Sie wissen ja selbst, dass die Treppe sehr steil ist. Da habe ich mir hier unten mein zweites Zimmer eingerichtet. Es ist sehr klein, aber es reicht aus.«
Nach diesen Worten öffnete sie die Tür. Sehr langsam tat sie es.
Kühle Luft strömte uns entgegen. Ich fing an zu schnuppern, weil ich plötzlich den Geruch von Weihwasser in meiner Nase spürte und ich auf den Gedanken kam, dass Anna hier im Raum einen Altar errichtet haben könnte.
Dann schaltete sie das Licht ein.
Das Zimmer war wirklich recht klein. Ein Gegenstand herrschte vor. Er war nicht zu übersehen. Mit dem Fußende zu uns stand das breite Bett mit der hölzernen Umkleidung.
Genau in der Mitte lag eine junge Frau. Mit dem schwarzen Haar sah sie aus wie Schneewittchen, und sie war leider auch so tot wie diese Person aus dem Märchen….
***
Lizzy war die ganze Fahrt über sauer gewesen. Woran es lag, hatte sie nicht gesagt, darüber konnte sich Ari Ariston seine eigenen Gedanken machen. Wahrscheinlich lag es am Nebel, der immer dichter wurde, je mehr sie sich von der Großstadt London entfernten. An eine Rückkehr dachte der Fotograf nicht. Wenn er ein Ziel hatte, dann ließ er es nicht mehr aus den Augen.
Lizzy war es schließlich leid. Sie griff zu ihren Gummibärchen und begann, sie laut schmatzend zu vertilgen.
»Hör auf.«
»Womit?«
»Mit deiner Schmatzerei. Du weißt, dass ich das nicht hören kann, verdammt.«
»Nun mach dir mal nicht ins Hemd.«
»Trotzdem will ich es nicht.«
»Ist ja schon gut.« Sie stopfte die letzten Gummibärchen in den Mund, zeigte Ari einen Vogel, stellte den Sitz weiter zurück und nahm sich vor zu schlafen. Schließlich wusste sie nicht, wie lang die Nacht werden würde. Wenn Ari einmal in Form kam, kannte er keine Grenzen mehr. Da lief er in hohen Drehzahlen wie ein Rennwagen und ließ die Kamera nicht mehr aus den Händen.
Lizzy mochte ihn trotzdem, sonst hätte sie es nicht zwei Jahre bei ihm ausgehalten. Dass er Tote fotografierte, war allerdings neu. Erst seit einem halben Jahr beschäftigte ihn dieses Thema, das ihn leider nicht wieder losgelassen
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