1441 - Der Seelenfluss
über mich, streckte mir die Hand entgegen und half mir hoch.
Ich sah den ernsten Ausdruck in ihrem Gesicht. Als sich unsere Blicke trafen, hob Shao die Schultern an.
»Nichts, John. Ich habe nichts gesehen. Weder von Suko noch von Susa. Vielleicht sind wir hier falsch.«
Daran glaubte ich nicht. Mit der rechten Hand wies ich in den Tunnel hinein.
»Da ist auch nichts, John.«
»Aber dort geht es weiter.«
Shao nickte. »Und es gibt auch das Wasser. Zwar keinen Fluss, aber irgendwie passt alles zusammen. Ich würde sagen, dass der Schamane hier perfekte Bedingungen vorfindet.«
»Dann lass es uns versuchen.«
Das Wasser verlor sich in der Dunkelheit. Bald konnten wir uns nur an einer Seite des Tunnels entlang bewegen. Mir kam in den Sinn, dass es so ähnlich auch in der Londoner Kanalisation aussah.
So konnte ich mir vorstellen, dass dieser recht schmale Kanal irgendwann auf einen der Hauptadern traf.
Noch war er leer, abgesehen von uns. Ich leuchtete den Weg ab, den wir gehen mussten. Es war gut, dass uns der helle Schein begleitete, denn dieser Sims war alles andere als trocken. Wasser und hochgespülter Schlamm hatten sich zu einem Schmier vereinigt, sodass wir froh waren, an der Wand eine Stütze zu finden, und einigermaßen sicher gehen konnten.
»Ach, ihr kommt auch noch!«
Die Stimme stoppte mich.
»Suko!«, rief Shao.
Während sie das Wort rief, leuchtete ich bereits weiter nach vorn.
Der Inspektor kniete vor uns. Sein Gesicht lag im hellen Schein, und es sah nicht eben zufrieden aus. Was da über seine Haut rann, war kein Wasser, dafür Schweiß.
Als wir bei ihm waren, stand er wieder auf den Füßen und stützte sich an der Wand ab. In einer Hand hielt er noch die Dämonenpeitsche, die ausgefahren war, sodass in mir ein bestimmter Verdacht hochstieg.
»Jetzt fragt mich nicht, was passiert ist.« Er lächelte Shao an. »Ich lebe noch.«
»Trotzdem«, flüsterte Shao. »Das kommt doch nicht von ungefähr, oder?«
»Nein, sie waren da.«
»Die kleinen Drachen?«, fragte ich.
Suko nickte. Er deutete mit einer Hand in die Runde. »Sie kamen urplötzlich und schlugen zu. Ich weiß nicht, wo sie gelauert haben. Zumindest im Dunkel des Tunnels. Sie flatterten heran, und ich habe mein Bestes gegeben. Nur konnte ich nicht alle erwischen. Sie haben mich sogar zu Boden gezwungen…«
Shao stellte eine entscheidende Frage. »Und was ist mit Susa?«
Suko schaute seine Partnerin an. Sehr traurig war sein Blick. »Genau das ist das Problem.«
»Ach! Du weißt es nicht?«
»Leider nein.«
»Aber sie ist doch bei dir gewesen!«
»Klar. Wir sind wie die Kinder gerutscht. Nur hat es uns keinen Spaß gemacht. Ich denke, das könnt ihr nachvollziehen. Sie war noch bei mir, dann erfolgte der Angriff, und als die kleinen Drachen verschwanden, war auch Susa verschwunden.«
»Mehr weißt du nicht?«
»So ist es, Shao.«
Wir sahen Suko an, dass er mit seiner Antwort selbst nicht zufrieden war. Dann schnippte er mit den Fingern.
»Da war noch was!«
»Ach«, sagte ich.
»Ja – ja – ein Licht. In der Ferne. Über dem Wasser. Sehr bleich. Gespenstisch. Ich glaube auch nicht, dass es von einer normalen Lampe stammte. Das war etwas ganz anderes. Da es über dem Wasser schwebte und sich bewegte, kann ich mir vorstellen, dass ein Boot damit bestückt war. Aber dieses Licht bewegte sich entgegengesetzt der Strömung. Das Boot hat vielleicht einen Motor gehabt. Den allerdings habe ich nicht gehört.«
»Oder starke Arme«, sagte ich.
»Klar, auch das ist möglich. Dass jemand da gepaddelt hat oder wie auch immer.«
»Dann müssen wir tiefer in den Tunnel«, sagte Shao. Sie sah so aus, als wollte sie sofort losrennen, doch ich hatte noch eine Frage an Suko.
»Kannst du dir vorstellen, dass dieses Licht etwas mit dem Schamanen Wu zu tun hat?«
»Ja, kann ich. Der Legende nach ist er der Holer. Der Mittler zwischen den Menschen und den Ahnen. Er sorgt dafür, dass die Seelen der Verstorbenen ruhig bleiben. Er bringt ihnen die Opfer und…«
»Susa«, flüsterte Shao.
Wir schauten betreten zu Boden. Allerdings nicht lange, denn jetzt wurde es für uns Zeit…
***
Es gab keinen, der die Barke gerudert oder gelenkt hätte. Sie glitt über das plätschernde Wasser dahin und ließ sich diesmal mit der Strömung treiben.
Susa befand sich auf dem Boot und glaubte, einen Traum zu erleben. Wie eine Puppe saß sie auf dem Bein dieser Gestalt, ohne irgendeinen Widerstand unter sich zu spüren. Sie hätte ebenso
Weitere Kostenlose Bücher