1442 - Das Relikt
aus Stroh und Reisig. Eine Decke darüber, aber keine Decke lag auf dem Körper der bärtigen Gestalt, die nicht mehr stöhnte und den Kopf zum Eingang gewandt hatte.
Ob der Mann krank oder verletzt war, sah der Junge nicht. Er stellte nur fest, dass er helfen musste. Bevor er den ersten Schritt tat, erreichte ihn die mit flüsternder Stimme gestellte Frage.
»Wer bist du? Wie ist dein Name?«
Der junge Mann war zur Höflichkeit erzogen, und deshalb gab er Antwort.
»Ich heiße Godwin de Salier…«
Danach hörte er nichts mehr, nicht einmal mehr den Atem des Alten. Erst als einige Zeit vergangen war, vernahm er wieder die Stimme, aber diesmal lachte der Mann.
»Bitte, wie kann ich Euch helfen?«
»Helfen?«
»Ja, Monsieur.«
»Komm her.«
»Bitte, was…«
»Komm erst mal her!«
Godwin wollte sich dem Wunsch nicht verweigern. Deshalb tat er dem Mann den Gefallen. Auch wenn dieser auf dem Bett lag, das Misstrauen war bei Godwin nicht verschwunden. Man konnte nicht allen Menschen trauen. Es gab zu viele, die zu täuschen versuchten, und deshalb war Godwin vorsichtig.
Seine Augen hatten sich an die schummrigen Verhältnisse gewöhnt. Eine Gefahr drohte ihm nicht, denn es hielt sich kein zweiter Mann versteckt, um einen Angriff zu starten.
In der Hütte roch es nach Rauch, aber in der Feuerstelle mit dem darüber befindlichen offenen Abzug brannte nichts mehr. Nur ein Topf hing an einer Kette.
Der Mann auf dem Bett bewegte sich. Das Stroh knisterte, die Zweige schabten gegeneinander, und als Godwin stehen blieb, da hatte sich der Mann zur Seite gedreht, sodass er den Jungen voll ansehen konnte.
Der gab den Blick zurück und schaute dabei in ein bärtiges Gesicht. Ihm fiel die dicke Nase auf und der feuchte Mund, der sich zwischen den Barthaaren abzeichnete.
Langes, dunkles Haar klebte am Kopf. Es glänzte fettig, und der Mann stank so stark, dass sich Godwin am liebsten die Nase zugehalten hätte.
»Warst du dabei?«
»Wobei?«
»Bei der Schlacht.«
»Nein, war ich nicht.«
»Das habe ich mir gedacht. Du hast dich versteckt, nicht? Du bist zu feige gewesen?«
»Das war ich nicht!« Godwins Stimme hatte an Schärfe zugenommen. »Nein, das war ich nicht«, wiederholte er, weil er sich in seiner Ehre gekränkt fühlte, »ich habe nur nichts mit diesen Auseinandersetzungen zu tun gehabt.«
»Das kann auch sein. Du bist ein Reisender?«
»Ein Bote meines Vaters.«
Der Liegende grinste. Godwin fand es widerlich. »Du willst mal ein ganz Edler werden, wie?«
»Ja, ich möchte in den Stand der Ritter, um gegen die Ungläubigen ziehen zu können.«
Das leise Lachen konnte den Spott nicht verdecken. »Ja, das wollen viele. Davon träumen die jungen Männer, ich weiß.«
»Habt Ihr nie davon geträumt?«
»Nein, nie. Meine Ziele waren andere. Aber ich habe sie nicht ganz erreicht, das kann ich dir schon sagen.«
»Warum liegt Ihr hier? Seid Ihr krank?«
»Nicht direkt. Ich fühle mich nur verlassen, obwohl ich so etwas wie ein Einsiedler bin.«
»Dann seid Ihr so etwas wie ein Mönch?«
Der Bärtige riss den Mund auf und kicherte. »Nicht so, wie du denkst.« Wieder das Kichern. »Kann sein, dass ich ein Mönch bin, kann schon sein, aber dann bin ich einer, der für die meisten Menschen auf der falschen Seite steht.«
»Ah ja? Wie soll ich das verstehen?«
»Ganz einfach, mein Junge.« In den Augen des Mannes schimmerte es. »Glaubst du an den Teufel?«
»Wie?«
»Glaubst du an die Hölle?«
»Ähm – ich – warum sollte ich an die Hölle glauben?«
»Warum nicht?«
»Ich verachte sie.«
»Hat man dich das so gelehrt?«
»Ja. Ich bin katholisch erzogen worden. Wenn es einen Teufel gibt, dann muss man ihn hassen.«
Der Bärtige sagte zunächst nichts. Dafür schüttelte er den Kopf, als hätte er etwas gehört, dem er nicht folgen konnte. Schließlich meinte er: »Du glaubst also nicht an die Hölle?«
»Ich werde alles tun, um nach meinem Tod nicht in sie hineinzukommen.«
»Sagte das der Pope zu dir?«
»Die Mönche, bei denen ich schreiben und lesen gelernt habe.«
»Ho, ho, das kannst du also auch. Die meisten Menschen können es nicht. Sie werden aus bestimmten Gründen nicht eingeweiht. Sie sollen dumm bleiben. Wer zu schlau ist, der kann den hohen Herren ja gefährlich werden. Auch Wissen bedeutet Macht.«
»Ich weiß.«
Der Mann schwieg und schaute Godwin nur an. Der fühlte sich unter dem Blick bloßgestellt, aber er wollte es nicht zeigen und sagte: »Eigentlich bin ich
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