1442 - Das Relikt
ganz Ohr sein?«
»Nein, ich…«
»Doch, du musst. Du bist zu mir gekommen. Es ist der Wind des Schicksals, der dich hergeweht hat. Ich habe bisher noch keinem Fremden etwas erzählen können. Ich weiß auch, dass meine Zeit zu Ende ist. Ich lebe nicht mehr lange, aber ich weiß, dass ich etwas für die Zukunft geschaffen habe, das die Welt auf den Kopf stellen soll. Ja, so sieht es aus.«
Godwin de Salier wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. In einer derartigen Lage hatte er sich in seinem jungen Leben noch nie befunden. Er hätte sich umdrehen und weglaufen können, aber dieser Mann bannte ihn. Tief in seinem Unterbewusstsein hatte sich längst eine Stimme gemeldet, die ihm riet, noch zu bleiben.
Er ging zwar etwas zurück, aber dann blieb er stehen und ließ Lucien nicht aus den Augen.
Der Bärtige stöhnte, als er versuchte, seinen Körper etwas anzuheben. Helfen lassen wollte er sich nicht. Er drehte seinen rechten Arm so, dass er unter seinen Körper greifen konnte. Dabei fluchte er und keuchte.
»Ja, ja, da ist es!«
Sein Körper sackte wieder zusammen. Aber Godwin wusste noch immer nicht, was der Schmied damit gemeint hatte, denn das Geheimnis hielt er noch an seiner rechten Körperhälfte verborgen.
»Ich werde dir zuvor noch etwas erzählen, und ich weiß, dass du es dein ganzes Leben lang behalten wirst, denn wer einmal etwas über den Teufel gehört hat, vergisst es nicht.«
Godwin schluckte. Er stellte fest, dass sein Speichel bitter schmeckte. Die Worte hatten ihm nicht gefallen. Nie zuvor hatte jemand mit ihm so intensiv über den Teufel gesprochen. Die Mönche, die seine Lehrmeister gewesen waren und noch immer waren, hatten zwar vom Bösen gesprochen, es aber meistens vermieden, über den Teufel direkt zu sprechen.
»Komm etwas näher, Junge…« Godwin wollte nicht. Er tat es trotzdem. Trotz seines schlechten Gefühls. Aber er blieb nicht direkt am Bett stehen und ließ eine gewisse Distanz zwischen sich und der Liegestatt.
»Dir gefällt der Teufel nicht, wie?«
Godwin nickte.
»Aber mir hat er gefallen«, kicherte der Alte. »Ganz bestimmt sogar. Er ist zu mir gekommen und war wunderbar. Ich habe ihn gesehen – ich, der kleine Schmied, ist von dem großen Weltenherrscher besucht worden. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das gefreut hat. Zuerst war ich erschreckt, aber der Teufel hat mir sehr bald bewiesen, dass es wichtig ist, sich mit ihm gut zu stellen, und das habe ich ihm auch versprochen.«
Lucien hustete. Zuerst langsam und nicht sehr laut. Doch das änderte sich. Ein regelrechter Anfall schüttelte seinen Körper durch. Er hob ihn sogar an, und auf seinen Lippen erschien rosiger Schaum.
Er war ein Zeichen, dass es ihm schon mehr als schlecht ging.
Godwin wollte wieder zurück, aber der Schmied schüttelte den Kopf.
»Du bleibst, Junge.« Seine Stimme klang wieder normal. Er rollte mit den Augen, der Atem pfiff aus seinem Mund, und dann wischte er mit dem Handrücken über seine Lippen.
Godwin fühlte sich zwar unwohl, aber er war auch neugierig geworden und fragte: »Was wollte der Teufel von dir? Weshalb hat er dich besucht?«
Lucien räusperte sich. Er sprach danach fast wieder normal. »Es ging um einen Auftrag«, flüsterte er und kicherte wieder dabei. »Ob du es glaubst oder nicht, der Teufel hat mir einen Auftrag gegeben. Deshalb ist er zu mir gekommen.«
»Nein!«
Über die spontane Reaktion musste Lucien lachen. »Ja, so ist es gewesen, das kann ich dir schwören. Es war ein Auftrag, den er mir gab, und ich habe mich irrsinnig gefreut. Wer bekommt schon einen Auftrag vom Teufel? Wer…?«
»Ich würde ihn nicht annehmen.«
»Aber ich habe ihn angenommen und bin froh, es getan zu haben. Wer den Teufel auf seiner Seite hat, dem geht es gut. Der braucht sich keine Sorgen zu machen, weil er reich belohnt wird. Das ist so, wenn man sich auf seine Seite stellt.«
»Und was wollte er von dir?«
»Meine Künste, Junge. Er hat voll und ganz auf meine Künste gesetzt. Und ich habe zugestimmt. Ich habe ihm etwas geschmiedet. Ich habe ihm das Zeichen geschmiedet, auf das du setzt.«
»Das Kreuz?«
»Ja!« Die Antwort war ein Schrei, und Godwin zuckte zusammen.
Er hätte nie gedacht, dass dieser kranke Mann in der Lage war, noch so laut zu schreien. Er schien all seine Kraft zusammengenommen zu haben, und plötzlich fingen seine Augen an zu glänzen.
Godwin verstand die Welt nicht mehr. Er bewegte sich um keinen Deut. Sein Blick war fassungslos,
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