1442 - Das Relikt
und wieder spürte er den bitteren Geschmack auf der Zunge.
Der Schauer auf seinem Rücken wollte nicht weichen. Wenn das stimmte, was der Alte ihm gesagt hatte, dann war in diesen Momenten für ihn ein Weltbild zusammengebrochen.
Auf der einen Seite der Teufel, auf der anderen das Kreuz!
Unmöglich!, schoss es ihm durch den Kopf. Das war unmöglich.
Zwei Todfeinde, die nicht zusammenpassten.
Er atmete schnell, wollte etwas sagen, aber die Bewegungen des Schmieds lenkten ihn ab. Er formte mit den Händen das Kreuz nach.
»Wertvoll hat es sein müssen. Aus edlem Metall. Aus Gold und Silber. Genau das hat er mir gesagt. Genau daran habe ich mich gehalten, und der Teufel ist sehr zufrieden gewesen.« Er wandte den Blick und rollte mit den Augen. »Willst du es sehen, mein Freund?«
›Nein!‹ Die Antwort hatte Godwin nicht wirklich gegeben. Sie war nur als schrilles Signal in seinem Kopf entstanden. Auch wenn er sie geschrien hätte, Lucien wäre das egal gewesen. Was er sich vorgenommen hatte, das führte er auch durch.
Er bewegte sich wieder, und als er den rechten Arm anhob, da sah Godwin etwas in der faltigen Hand schimmern.
Das Kreuz!
Der Junge riss den Mund auf. Er hatte den Eindruck, geblendet zu werden. Das Kreuz schimmerte nicht golden und auch nicht silbern.
Die beiden Farben bildeten eine Mischung aus Gold und Silber. Es war groß, es passte eigentlich nicht zu einem Menschen. Man konnte es sich nicht um den Hals hängen. Das Gewicht würde jeden nach unten ziehen.
Godwin starrte es an. Lucien hielt sein Werk mit beiden Händen fest und stemmte es in die Höhe. In seinen Augen war dabei ein irrer Glanz getreten. Er freute sich wie ein Kind, und entsprechend klang sein Lachen.
Godwin tat nichts. Er konnte einfach nichts tun. Er fühlte sich wie erstarrt, wie eingefroren, denn so etwas hatte er noch nie in seinem Leben durchgemacht.
Allein wie der Mann das Kreuz hielt. Diese Haltung ließ jeglichen Respekt vermissen, und Godwin merkte, wie stark auch er anfing zu zittern. So benahm man sich nicht dem Kreuz gegenüber. Das grenzte schon an Gotteslästerung.
Und seine Augen weiteten sich noch mehr, als er sich die Form des Kreuzes genauer anschaute.
Es sah anders aus. Irgendetwas war mit dem Querbalken. Er saß an einer anderen Stelle. Er war viel höher geschoben. Eine derartige Form hatte er noch nie gesehen, und auch die Enden sahen völlig anders aus. Sie wirkten wie Dreiecke, wie Spitzen, was sie letztendlich auch waren. Mit diesem Kreuz konnte man, wenn man wollte, Menschen töten. Man konnte jede Seite wie eine Schwertspitze in einen Körper rammen.
Kein Kreuz, sondern eine Waffe und des Teufels würdig.
Der Schmied hielt es noch immer fest. Beide Hände hatte er darum geklammert. Es zeigte nach unten, und es sah aus, als wollte er sich den Gegenstand in die Brust rammen.
»Das ist es!«, schrie er. »Das genau ist das Zeichen des Teufels! Er hat gesiegt. Ich habe ihm dazu verholfen. Wir beide sind die Sieger. Der Teufel und ich.«
Godwin wich zurück. Er fühlte sich überfordert.
Dieser Mensch dort vor ihm auf der Liegestatt war zu einer anderen Person geworden. Lucien sah nur noch aus wie ein Mensch, doch in seinem Innern brannte das Feuer der Hölle. Er war wahnsinnig, er hatte den Verstand verloren und dachte nur noch wie der Satan und seine Helfer.
Ja, er war zu einem Günstling der Hölle geworden.
Mit einem Ruck setzte sich der Alte auf. Es sah aus, als wollte er aus dem Bett steigen, aber das tat er nicht. Er blieb sitzen und drehte sich dabei etwas zur Seite, sodass Godwin einen Blick von der Seite her auf den Rücken des Mannes werfen konnte und dort die feuchte Stelle entdeckte.
Wasser war es bestimmt nicht. Das sah nicht so dickflüssig und klebrig aus. Es musste eine Wunde sein, aber der Junge traute sich nicht, den Schmied darauf anzusprechen.
Er hielt sich auch weiterhin an seinem Kreuz fest wie an einem rettenden Balken. Dann drehte er sich langsam um und stieß dabei ächzende Laute aus.
Godwin ging zurück. Automatisch schlug er das Kreuzzeichen. Es hatte ihm oft in Stunden großer Angst geholfen, und er setzte auch diesmal darauf.
»Nein, nein, so geht das nicht. Der Teufel ist nicht mächtiger als der Himmel. Nicht der Satan ist unser Königreich, sondern einzig und allein der Himmel. Geh weg mit dem Kreuz. Es ist nicht so, wie du denkst.«
»Und ob es so ist«, flüsterte der Schmied. »Damit hat die Hölle gewonnen, das schwöre ich dir. Die Hölle ist
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