1442 - Das Relikt
gekommen, um Euch zu helfen, denn ich habe Euer Stöhnen gehört.«
»Oh, sehr edel, dem alten Lucien einen Gefallen tun zu wollen.« Er verdrehte seine Augen. »So ganz abwegig ist das nicht, mein Junge. Du kannst mir schon einen Gefallen tun. Mir, Lucien, dem Schmied, der ich einmal gewesen bin.«
»Bist du krank?«
»Nicht wie du meinst.«
»Verletzt?«
»Auch nicht.«
»Was ist dann mit dir?«
Der Schmied lachte wieder. »Ich glaube an den Teufel und an die Hölle. Ich glaube sogar daran, dass beide mächtiger sind als all deine Heiligen, deine Engel und so weiter. Der Teufel ist überall«, sprach er mit leiser, aber rauer Stimme weiter. »Er besucht die Menschen, und manchmal bittet er uns sogar um einen Gefallen.«
»Mir ist das nicht passiert.«
»Na, ich weiß nicht, mein Freund. Aber du bist noch jung. Es kann alles kommen.«
»Hat er dich besucht?« Godwin ging zum vertrauten Tonfall über, mit dem ihn auch der Alte ansprach. Sein Respekt vor dem Älteren hielt sich schon in Grenzen.
»Gut, mein Junge, gut. Du beginnst zu verstehen. Ja, er hat mich besucht. Er wusste um meine Fertigkeiten, denn ich bin nicht nur ein einfacher Schmied, der die Pferde beschlägt. Ich bin ein Künstler, ein Kunstschmied. Als mich der Teufel bat, etwas für ihn zu tun, da habe ich nicht lange überlegt und ihm diesen Gefallen getan.«
»Um was hat er dich denn gebeten?« Godwins Neugierde war angestachelt worden. Er spürte, dass er einen weiteren Schritt in das Leben hinein tat und damit in das Erwachsenwerden.
»Um ein Kunstwerk und um das, was er zugleich hasst wie die Pest, mein Freund.«
Godwin hatte erwartet, dass ihm der Schmied weitere Erklärungen gab, doch darauf musste er vorerst verzichten, denn Lucien schwieg. Er schaute Godwin dabei listig an und wollte wissen, ob er sich nicht etwas vorstellen könne.
»Nein.«
»Denk nach.«
Godwin hob die Schultern.
»Was hasst der Teufel? Gegen was kämpft er? Was will er verändern? He, du weißt es!«
Godwin de Salier erwiderte nichts. Er war aus seinem normalen Leben herausgerissen worden. Die Gedanken jagten durch seinen Kopf. Die Vertreter der Kirche hatten ihn auf das Leben vorbereitet, und er war ihren Dogmen gefolgt. Es war auch vom Teufel und der Hölle die Rede gewesen, aber nie so genau wie jetzt.
Er hatte mehr vor Bildern gestanden und sich angeschaut, was mit denen passierte, die dem Herrgott abschworen. Sie wurden in die Tiefen der Hölle gejagt und erlebten dort fürchterliche Qualen inmitten eines nie verlöschenden Feuers.
Und es war auch von den Versuchungen gesprochen worden, mit denen der Teufel an die Menschen herantrat. Er kannte alle Tricks.
Er machte sich an Männer und Frauen gleichermaßen heran und sorgte für Unzucht und andere Vergehen.
Aber es gab auch einen Schutz gegen ihn. Er hatte den allerersten und den großen Kampf verloren, und mit genau diesem Schutz beschäftigte sich Godwin gedanklich.
Er brauchte nicht weit zurückzudenken. Täglich hatte er davor gekniet und gebetet.
»Denkst du noch immer nach, junger Freund?«
»Nein«, flüsterte er. »Jetzt nicht mehr. Jetzt brauche ich nicht mehr nachzudenken.«
»Dann sag mir die Antwort!«
Godwin raffte allen Mut zusammen. Obwohl er sicher war, dass sie zutraf, wollte sie ihm nicht so leicht über die Lippen. Er riss sich zusammen und sagte: »Es ist das Kreuz!«
Lucien schwieg. Nur seine Augen glänzten. Es war der Beweis, dass Godwin richtig lag.
Er erhielt auch die Bestätigung. »Ja, mein guter Freund, du hast Recht. Es ist das verfluchte Kreuz.«
Godwin wich bei der Antwort zurück. Seine Augen weiteten sich.
Nie hatte er gehört, dass jemand das Kreuz so nannte und es sogar verfluchte. Was war dieser Schmied nur für ein Mensch!
Lucien kicherte. »Was ist los mit dir? Habe ich dich beleidigt?«
»Nein, nicht mich. Das Kreuz!«
»Na und? Was ist es schon?«
»Es ist viel«, flüsterte der junge Mann. »Es ist für manche Menschen alles. In seinem Namen sind Männer und Frauen gestorben. Märtyrer hat es gegeben. Unter dem Kreuz ziehen die Menschen in den Krieg, um die Heilige Stadt Jerusalem zu befreien. Wie kann man nur so davon sprechen? Wie kann man nur?«
»Weil es ein Nichts ist, Junge. Ein absolutes Nichts. Ein Gegenstand, auf den ich spucke…«
»Du solltest nicht lästern! Nein, das ist…«
»Hör auf, hör auf, Junge.« Der Schmied holte scharf Atem. »Soll ich dir mal eine Geschichte erzählen? Möchtest du eine hören? Willst du dabei
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