1442 - Die grauen Eminenzen
für ihn den Ausbund der Widerwärtigkeit darstellte, ganz umsonst erschrecken lassen.
Die Kreatur war kleiner als jene, die der Mamositu am Tag zuvor erlegt hatte, kleiner auch als das Geschöpf, von dem Tifflor und Dahn im shengri alanaal belauert worden waren. Die Augen wirkten stumpf, von rotem Glanz war keine Spur mehr. Der Körper hatte eine Länge von kaum einem halben Meter; an er dicksten Stelle betrug sein Durchmesser nicht einmal fünf Zentimeter. Julian Tifflor wandte sich an Fellmer Lloyd.
Er brauchte die Frage nicht auszusprechen. Der Mutant verstand ihn auch so und schüttelte den Kopf. „Nichts", sagte er. „Ich empfange keinen einzigen Impuls. Das Ding könnte genausogut tot sein."
Tyly Chyunz kniete auf dem Boden und hantierte an einem kleinen Apparat, der mit zahlreichen Funktionstasten und ein paar Anzeigefeldern ausgestattet war. An den Apparat angeschlossen waren zwei Sonden, die Chyunz der Reihe nach am reglosen Körper des fremdartigen Geschöpfs entlangfuhr. Tyly Chyunz war ein Blue und gehörte zur Besatzung der CASSIOPEIA. Julian Tifflor hatte ihn mit nach Kaalix genommen, weil Chyunz, der sich selbst als Poeten und Ex-Vironauten bezeichnete, einen überaus wachen und beweglichen Verstand besaß. Er fand sich, scheinbar intuitiv, mit schwierigen Zusammenhängen zurecht, auch wenn sie zu Wissensgebieten gehörten, über die er nie etwas gelernt hatte. Darüber hinaus war Tyly Chyunz aufgrund seiner positiven Lebensauffassung und seines untrübbaren Optimismus ein sehr angenehmer Zeitgenosse. „Kann nicht tot sein", beschwerte sich Tosh-Poin. „Ich hab' mit Parralysatorr errschossen."
„Ist auch nicht tot", erklärte Tyly Chyunz mit der charakteristisch schrillen Stimme des Blue. „Es gibt eindeutige Lebensfunktionen. Ich verstehe sie zwar nicht, aber sie sind da."
„Siehst du?" strahlte der Mamositu. „Jetzt, Tifflorr, können wirr vielleicht einen Handel arrangieren. Ich biete dirr..."
„Du bietest mir nichts, Tosh-Poin", erstickte Julian Tifflor die Hoffnung des Liebeskranken im Keim. „Wir kehren wahrscheinlich bald zu unseren Schiffen zurück; da kannst du dich mit Sash-Variim austoben, solange es dir gefällt. Jetzt gehst du zu deinem Zimmer zurück und läßt dich vor Sonnenuntergang nicht mehr sehen, verstanden?"
Der Mamositu trottete beleidigt davon.
Man hörte ihn Worte seiner Muttersprache bellen. Niemand verstand, was er sagte, aber Wiederholenswertes war wohl nicht dabei. „Kannst du sie zu sich bringen, Tyly?" fragte Julian Tifflor. „Ich versuch's", antwortete der Blue. „Wenn ich nur wüßte, wie ihre Lebensfunktionen beschaffen sind..."
Fellmer Lloyd hatte die Augen geschlossen. „Vorsicht", murmelte er. „Sie erwacht...!"
Auf einmal erschien matter Glanz in den kleinen Knopfaugen. Der Schlangenleib zuckte. Eine von Chyunz' Sonden wurde beiseite geschleudert. Der Blue wich erschreckt zurück. „Laß sie nicht entkommen, Tyly!" rief Tifflor.
Es war schon zu spät. Blitzschnell rollte sich der Schlangenkörper zu einer Kugel zusammen und schoß davon, durch die offene Tür hinaus auf den Gang. Tifflor setzte hinterdrein. Der Kombilader glitt ihm wie von selbst in die Hand. Er sah die graue Kugel den Korridor entlangrollen, so schnell, als wäre sie aus einem Kanonenrohr geschossen. Der Finger senkte sich auf den Auslöser. Tifflor hatte mit einer mechanischen, kaum mehr bewußten Bewegung des Daumens den Paralysator auf breiteste Fächerwirkung geschaltet. Die Kugel hatte keine Chance zu entkommen.
Die Waffe gab ein helles, zorniges Summen von sich. Der Schuß saß, daran gab es keinen Zweifel. Die Kugel schnellte zur Seite und prallte gegen die Wand.
Julian Tifflor schob den Kombilader ins Halfter zurück und setzte sich in Bewegung. Er glaubte nicht anders, als daß er den Körper der fremden Kreatur - reglos, wie er nach dem Treffer sein mußte - nur noch aufzulesen brauchte.
Da geschah das Unglaubliche. Die Kugel zerfiel in Hunderte winziger Bestandteile, kleine, dünne, quirlige Gebilde, die wie Würmer oder Maden aussahen und sich mit phantastischer Geschwindigkeit bewegten. Sie wußten, wo sie Deckung zu nehmen hatten. Sie glitten an der Wand entlang und verschwanden in den Fugen der Wandverkleidung. Als Julian Tifflor die Stelle erreichte, an der er den leblosen Körper des paralysierten Geschöpfs hatte aufklauben wollen, da war nicht einmal mehr eine Krume von Körpersubstanz vorhanden, nach der zu bücken es sich gelohnt hätte.
Fellmer
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