1443 - Die Hölle stirbt nie
der Fall war. Nur nach den noch nicht lange zurückliegenden Anschlägen auf die Londoner U-Bahn war alles anders gewesen. Da hatten die Menschen den Schutz der Kirche und auch das Gebet gebraucht, was er ihnen nicht verwehrt hatte.
Es war nicht völlig dunkel, denn einige Lichter gaben schon ihren Schein ab. Kerzen, die an verschiedenen Stellen standen und ihre hellen Finger in die Höhe streckten.
Er dachte daran, nach rechts zu gehen. Dort befand sich die Ecke für die Kinder und Jungendlichen. An einer Pinnwand konnten sie ihre Zeichnungen hängen oder ihre kleinen Sprüche, die sich oft genug wie Gebete lasen, wenn Sorgen drückten.
Das Taufbecken bestand aus einem runden Steintrog. Er wurde von einem blanken Stahlträger gehalten, und es war immer mit geweihtem Wasser gefüllt. Auch jetzt. Da kein Licht auf die Oberfläche fiel, hatte es die Dunkelheit des Steins angenommen.
Etwas beunruhigte ihn trotzdem. Der Reverend konnte nicht sagen, um was es sich handelte, doch an diesem Abend war es anders als sonst.
Bisher hatte er keinen Menschen zu Gesicht bekommen, und das blieb auch so, als er wieder nach vorn zur Kanzel schaute.
Er hörte auch nichts…
Oder doch?
Morton Butler konzentrierte sich auf die Umgebung. Jedes Geräusch wäre ihm jetzt aufgefallen, und in der Tat, er hörte etwas.
Ein bestimmtes Schnaufen oder Atmen. Es war für ihn nicht genau zu identifizieren, aber es beunruhigte ihn schon.
Atmete jemand? Hatte sich doch jemand heimlich in die Kirche geschlichen? Normal wäre es nicht gewesen. Allerdings auch nicht unnormal, denn hin und wieder suchten Obdachlose Schutz unter dem Dach der Kirche, in der es doch wärmer war als draußen.
Er drehte sich nach links. Dort war es auch dunkel, und es gab dort eine Bewegung. Schon Sekunden später zeichnete sich der Schatten in der Dunkelheit ab und verwandelte sich in eine Menschengestalt.
Ein Mann kam auf ihn zu. Er war dunkel gekleidet und hielt unter seiner Jacke etwas verborgen. Er bemühte sich nicht mal, leise zu gehen. Innerhalb des schwachen Lichts wirkte seine Gesichtshaut blass und sogar leicht bläulich.
Dass er es hier nicht mit einem Obdachlosen zu tun hatte, sah der Reverend auf den ersten Blick. Obdachlose waren anders gekleidet.
Morton Butler blieb stehen. In seiner Brust schlug das Herz schneller. Er spürte auch das leichte Würgen in der Kehle, und so etwas wie eine Warnung stieg in ihm hoch.
Der Unbekannte kam so weit auf ihn zu, dass Butler hätte nach ihm greifen können. Er tat es nicht. Er wartete ab und bewegte sich nicht mehr. Es war so kühl, dass der Atem vor den Lippen der Männer kondensierte. Niemand wollte den Anfang machen und sprechen, bis dem Pfarrer einfiel, dass er hier der Hausherr war, der den Bann zwischen ihnen brechen musste.
»Wer sind Sie?«
»Ein Besucher.«
»Ja, das sehe ich.«
»Die Kirche steht allen Menschen offen – oder?«
Der Reverend nickte. »In der Regel ist das so, aber Sie gehören wohl nicht zu meiner Gemeinde, denn ich habe Sie noch niemals hier in der Kathedrale gesehen.«
»Da haben Sie Recht. Ich bin wirklich zum ersten Mal hier. Und es gefällt mir.«
»Darf ich fragen, ob Sie hier beten wollen. Oder es schon getan haben?«
Der Mann öffnete den Mund. Er fing an zu lachen. »Beten?«, flüsterte er dann. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Das liegt doch auf der Hand. Wer in eine Kirche geht, der möchte entweder feiern oder mit dem Herrgott Zwiesprache halten.«
»Zwiesprache?« Er lachte scharf, was dem Reverend nicht gefiel.
Überhaupt gefiel ihm der Mann und dessen Auftreten nicht. Er passte einfach nicht hierher. Dass er sich verlaufen hatte, daran glaubte Morton Butler auch nicht.
Nein, dieser Mensch hatte ganz gewiss seine Gründe, die Kirche zu betreten.
»Was wollen Sie wirklich hier?«
»Gute Frage – endlich.« Travis Beck grinste kalt. »Ich habe etwas mitgebracht, das ich Ihnen zeigen will, und ich denke, es wird Ihnen gefallen.«
»Was ist es?«
»Moment, Moment«, flüsterte der Besucher, dessen Namen Morton noch immer nicht kannte. »Ich zeige es Ihnen sofort.« Er schlug seine Jacke zurück, um das freizulegen, was er darunter verborgen hatte.
Der Reverend sah etwas golden schimmern. Der Gedanke an einen gestohlenen Gegenstand huschte durch seinen Kopf. Er verfolgte ihn nicht weiter, da er durch die weiteren Bewegungen abgelenkt wurde.
Im nächsten Augenblick weiteten sich seine Augen vor Staunen.
Er sah etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte,
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