1449 - Der Knochentempel
Gesicht, oder?«
»Ja.«
»Und?«
»Bitte, Mr Ampitius, ich weiß ebenso viel wie Sie, und deshalb kann ich Ihnen keine Erklärung geben. Ich weiß keine.«
»Ja, ja, verstehe«, murmelte er. »Trotzdem bleibt meine Frage. Kam Ihnen das Gesicht vielleicht bekannt vor?«
»Nein, Mr Ampitius. Es war mir ebenso unbekannt wie Ihnen. Ich kann damit nichts anfangen.«
»Aber er war ein Mensch.«
Ich hob die Schultern. »Sagen wir so: Dieses Gesicht ist eine Erscheinung gewesen.«
»Ein Geist?«
Ich wiegte den Kopf. »In diesem Fall spreche ich von einer feinstofflichen Erscheinung. Sie können sich darunter vorstellen, was immer Sie wollen, Mr Ampitius.«
»Ja, das habe ich schon begriffen. Eine Erscheinung oder ein Geist, der im Jenseits keine Ruhe findet.«
»Zum Beispiel.«
Ampitius starrte einige Augenblicke ins Leere, bevor er fragte:
»Und was machen wir jetzt?«
»Wenn ich das genau wüsste, wäre mir wohler. Eine wichtige Rolle spielt Ellen Kinley, und ich bin mehr als froh, dass ich Suko auf ihre Spur gesetzt habe.«
»Das kann man wohl sagen. Wollen Sie ihn anrufen, Mr Sinclair?«
»Das wäre der Normalfall. Aber ich habe damit meine Probleme. Ich weiß nicht, ob der Zeitpunkt günstig ist. Zumindest haben wir mit dem Film ein Beweisstück. Es ist darauf ein großes Gesicht zu sehen, und ich gehe davon aus, dass es einem Menschen gehört, der schon mal gelebt hat, aber zugleich ein besonderes Leben führte.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nach anderen Regeln!«
Ampitius verengte die Augen. »Kommt jetzt wieder die Hölle ins Spiel?«, fragte er.
»Nein, so kann man das nicht sehen, obwohl schon etwas Übernatürliches mit im Spiel ist, das muss ich zugeben. Aus Erfahrung weiß ich, dass es immer wieder Menschen gibt, die den falschen Weg einschlagen. Ich denke, dass diese Person zu ihren Lebzeiten dazugehört hat. Mehr kann ich im Moment nicht sagen.«
Ampitius hatte trotzdem noch eine Frage. »Könnte man davon ausgehen, dass er im Jenseits keine Ruhe findet?«
»Vielleicht.«
»Aber was hat er mit den verdammten Totenschädeln zu tun? Warum wurden sie aus dem Beinhaus gestohlen? Gibt es da wirklich eine Verbindung? Und wer hat es getan?«
Ich war durch Ampitius auf ein Problem angesprochen worden, über das ich mir ebenfalls meine Gedanken machte. Wir saßen beide noch immer auf den Sessellehnen, und ich zumindest schaute noch auf den grauen Bildschirm. Er wirkte in diesem Fall fast wie ein Spiegel. Jedenfalls zeichnete sich ein Teil der Wohnung in diesem Viereck ab, allerdings nur sehr schwach.
Und dennoch sah ich die Bewegung.
Sie passierte in unserem Rücken, und es gab nur eines, was sich dort bewegen konnte.
Die Tür!
Der Alarm jagte durch meinen Kopf. Ich blickte noch eine Sekunde länger hin und sah nicht nur die Tür, sondern an ihrem Rand etwas Dunkles und Verschwommenes.
Es war nicht genau zu erkennen, dennoch stufte ich es als gefährlich ein. Zeit, um den Bischof zu warnen, hatte ich nicht mehr. Dafür gab ich ihm einen Stoß, der ihn von der Sessellehne weg zu Boden schleuderte.
Gleichzeitig warf ich mich zur anderen Seite und hatte den Fußboden noch nicht erreicht, da hörte ich schon das leise Ploppen einer schallgedämpften Waffe…
***
Suko war ein Mensch, der sich auf seine Gefühle oder Vorahnungen verließ. Er befand sich auf dem Weg zu Ellen Kinley und ging davon aus, dass er genau das Richtige tat.
Die Wohnung lag in einer schmalen Nebenstraße, in der es mehrere Geschäfte gab. Kleine Läden, die allerlei Krimskrams anboten und zumeist von ausländischen Besitzern geführt wurden. Hier waren die Häuser älter, aber auch hoch, und sie hatten Hinterhöfe, meist mit Durchgängen zu einem anderen Block.
Suko musste ein wenig suchen, bis er das richtige Haus gefunden hatte. Es stand im Hinterhof und schaute auf die langen Feuerleitern an den grauen Fassaden und die zahlreichen Fenster, von denen die meisten geschlossen waren. Jugendliche vertrieben sich die Zeit mit Nichtstun. Suko musste fast bis zur anderen Seite durchgehen, um den Eingang zu finden, der aus einer recht breiten Eisentür bestand.
Im Souterrain befand sich eine Firma, die Computer, Kopierer und auch Kameras reparierte. Eine Steintreppe mit einem grauen Eisengeländer führte in die Höhe.
Einen Lift gab es nicht. Wer oben wohnte, der musste eben viel schleppen, aber Suko hatte Glück, denn er musste nur in die zweite Etage. Das hatte er dem Klingelschild entnommen.
Er sah noch die Türen zu
Weitere Kostenlose Bücher