1449 - Der Knochentempel
lange Haar, das an einigen. Stellen schweißverklebt und dadurch dunkler geworden war. Sie zerrte den Saum ihres Oberteils tiefer und musste gestützt werden, als sie aufstehen wollte. Als sie schließlich stand, lehnte sie sich gegen Suko und fing leise an zu weinen.
Suko wusste, dass so etwas erleichterte. Deshalb sprach er sie nicht an. Sie ließ sich willig wegführen. Ob sie bemerkte, dass sie an dem bewusstlosen Mann vorbeigingen, war ihr nicht anzusehen. Der Blick ihrer recht blassen Augen war ins Leere gerichtet.
Suko setzte sie im Wohnzimmer in einen kugeligen gelben Sessel und besorgte ihr aus der Küche etwas zu trinken. Ellen nahm es dankbar an.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte Suko.
Er ging noch mal in den Flur, untersuchte den Bewusstlosen nach Waffen, fand keine und schleifte den Mann ins Wohnzimmer.
Ellen fing an zu zittern, als sie sah, wie Suko die Gestalt über die Schwelle zog.
»Er wird uns vorläufig keinen Ärger mehr bereiten«, sagte er lächelnd.
»Ich weiß nicht.«
»Doch, ich kenne meine Schläge. Und jetzt kommt es auch viel auf Sie an, Ellen.«
»Wieso auf mich?«
»Ja, denn Sie sind gewissermaßen der Schlüssel. Sie haben alles ins Rollen gebracht.« Nach diesen Worten setzte sich Suko ebenfalls. Er nahm dafür einen runden Hocker aus Leder.
»Was meinen Sie damit?«
»Ich könnte mir vorstellen, Ellen, dass Sie etwas mit dem Totenschädel zu tun haben, den ein Junge fand.« Suko räusperte sich.
»Pardon, ich habe mich Ihnen gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Suko. Ganz einfach nur Suko. Bevor ich es vergesse, ich bin Scotland-Yard-Beamter. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen.«
»Polizei also.«
»Ja. Bei einem derartigen Fundstück ist es kein Wunder, dass sich die Polizei einschaltet, und ich gehe davon aus, dass Sie daran nicht ganz unbeteiligt gewesen sind.«
»Das stimmt.«
»Dann haben Sie den Schädel verloren?«
Ellen nickte. »Ja, als ich auf dem Rückweg war.«
»Wo sind Sie denn vorher gewesen?«
»Außerhalb.«
»Oh – und weiter?«
»Ich habe dort die Totenschädel geholt. Und zwar aus einem Beinhaus, das man mir schon geöffnet hatte.«
Suko ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. »Und warum haben Sie das getan? Doch bestimmt nicht aus eigener Initiative.«
»Nein, man hat mich darum gebeten.«
»Wer?«
Sie senkte den Blick. Vor der Antwort trank sie noch einen Schluck Wasser. »Es ist mein Vater gewesen.«
»Der Küster?«
Ellen starrte Suko an. »Sie kennen ihn?«
»Nicht persönlich. Aber ich weiß, dass er eine nicht unwichtige Person in diesem Spiel ist.« Ihren Antworten hatte Suko entnommen, dass sie über das Schicksal ihres Vaters nicht informiert war.
Sie schien zu glauben, dass er noch lebte, und er wollte ihr vorerst noch nicht die Wahrheit sagen.
Dafür stellte er seine nächste Frage. »Mal abgesehen davon, dass Ihr Vater Küster ist und zu dem Beinhaus Zugang hat, weshalb wollte er diese Schädel haben? Das ist doch nicht normal. Oder ist Ihr Vater Sammler von Totenköpfen?«
»Nein, das ist er wohl nicht.«
»Aber…«
Sie hob die schmalen Schultern. »Ich weiß nicht genau, was wirklich hinter diesen Dingen steckt. Aber es ist schon eine große Sache.«
»Bei der auch dieser Mensch hier eine nicht unwichtige Rolle spielt, oder?« Suko deutete auf den Bewusstlosen.
»Ja.«
»Welchen Part hat er übernommen?«
»Er und sein Bruder waren Aufpasser und zugleich die Bosse. Sie haben alles so gewollt.«
»Was?«
»Die Schädel«, flüsterte Ellen. »Sie sind für sie sehr wichtig, denn sie mussten an einen anderen Platz geschafft werden.«
»Haben Sie das getan?«
»Ja.«
»Und wohin haben Sie die Schädel gebracht?«
Ellen atmete schwer und saugte dabei die Luft durch die Nase.
»In die Kathedrale«, sagte sie dann.
Diesmal war Suko überrascht. »Sie haben die Totenköpfe in eine Kathedrale gebracht? In eine Kirche?«
Ellen schüttelte den Kopf. »Es ist keine richtige Kathedrale und auch keine normale Kirche. Sie wird nur so genannt. Das ist alles. Es ist ein großer Raum unter der Erde.«
»Ein Tunnel?«
»Nein, eher ein Schacht, der stillgelegt worden ist. Ein alter Schacht, ja. Der wird als Kathedrale bezeichnet. Das habe ich nicht erfunden, sondern die anderen Menschen. Ja, und da müssen die Schädel hin.«
»Und Sie waren dort?«
»Schon einmal.«
»Mit den Schädeln?«
»Nein, mein Vater hat mich ohne sie hingeschickt. Aber ich habe welche gesehen, die dort schon
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