145 - Die Suche nach Aiko
sich stets Dinge erlauben können, für die sowohl nach der modernen amerikanischen Gerichtsbarkeit als auch nach den Spielregeln der Barbaren härteste Strafen verhängt worden waren.
Nie hätte sie sich vorstellen können, dass aus all den kleinen und unbedeutenden Abenteuern mit Männern und Frauen, den Expeditionen, den Experimenten ihres Vaters beziehungsweise des Weltrats, einmal wirkliche Gefahr für sie erwachsen konnte. Die Denunzierung Mr. Blacks, die Suche nach Matthew Drax in den Sümpfen Floridas, die Expedition hierher, tief ins ehemalige Russland, der Vorstoß in den Kratersee, um das Rätsel des Kometen zu ergründen, all das waren Aspekte eines lustvoll geführten Lebens ohne Grenzen gewesen.
Erst als sie in dem Kometen tief unten am Meeresgrund zu sich gekommen war, umgeben von zwei der abscheulichen Gestaltwandler, war sie aus ihrem Lebenstraum erwacht – und hatte sich in etwas zurückgezogen, das sie nachträglich als eine Art von Wahnsinn bezeichnen musste.
Fluchend tastete sie über ihren von Miki Takeo transplantierten Plysterox-Arm, über den neuen Oberschenkel, über die künstliche Hüfte. War ihr Größenwahn so weit gediehen gewesen, dass sie selbst diese Zeichen nicht richtig gedeutet hatte?
Lynne setzte ihren Weg fort. Schritt für Schritt, nur weg von diesem Ort, an dem sie – wie lange? – genau dreißig Monate dahinvegetiert war. Sanft bergauf ging es nun, zwischen den Ausläufern ausgedehnten Pflanzenbewuchses hindurch. Ihre Sicht wurde durch hölzerne Stängel, scharfkantige Blätter, Blütenkelche, die betäubenden Duft absonderten, Wurzelwerk und Schlingpflanzen eingeschränkt, sodass sie Gefahr lief, die Orientierung zu verlieren und im Kreis zu laufen…
»Ruhig Blut, Mädel«, murmelte Lynne – und erschrak über ihre eigene Stimme. Sie war heiser und zittrig. Die Stimme einer Fremden, die sie seit Ewigkeiten nicht mehr gehört hatte.
Erneut blieb sie stehen und lehnte sich gegen einen der rostbraunen Stängel. Bislang war ja alles glatt gelaufen, und ihr Vorsprung betrug sicherlich bereits einige Kilometer. Aber was war das schon, wenn man gedankenlesende, gestaltwandelnde Monster zum Gegner hatte?
War es vernünftig, nach einem Stamm der hier ansässigen Rriba’low oder Narod’kratow zu suchen?
Ach nein, die waren ja an die Brut dieser Echsen verfüttert worden; Lynne erinnerte sich, dass Jake fasziniert darüber berichtet hatte. Damals, als er seine Gedanken noch mit ihr teilte…
Sie schob die Erinnerung beiseite und hetzte weiter. Sie musste so rasch wie möglich aus dem unmittelbaren Herrschaftsgebiet der Außerirdischen verschwinden. Ihre einzige Hoffnung war die, dass sie für ihre Peiniger zu unbedeutend war, als dass man sie überhaupt verfolgte. Dafür zumindest würde das Ausbleiben der Todesrochen sprechen.
Aus dem Martyrium der letzten Jahre waren immerhin ein paar wertvolle Erkenntnisse übrig geblieben: Die Daa’muren hassten nichts mehr als eine mutwillige Verschwendung von Ressourcen. Wenn der Aufwand für sie größer schien als der Nutzen, bestand die Chance, dass sie die Hetzjagd kurzerhand abbrachen.
Außerdem hatte die Daa’muren derzeit alle Hände voll zu tun, die Unmengen an grünen Kristallen aus dem Kometen
»Christopher-Floyd« zu pflücken und irgendwo anders zu lagern; Lynne hatte ihre langen Transporte über den Schlick des zurückgewichenen Kratersees gesehen. Zeit- und Energieverlust waren für sie in diesen Tagen wohl unerlässliche Sünden.
»Weiter geht’s!«, feuerte sie sich selbst an. »Nur keine Müdigkeit zeigen.«
Lynne hätte nie gedacht, einmal darauf zu hoffen, dass die Echsenwesen streng logisch handelten und keine Gefühle zeigten.
***
Thul’hal’neiro spürte starke Schmerzen, und auf eine perverse Art und Weise genoss er sie sogar. Seine Schädeldecke war von den wuchtigen Schlägen der Primärrassenvertreterin deformiert. Aber es galt keine Zeit zu verlieren. Der Vorsprung Lin’croos würde sonst zu groß werden.
»Komm zu dir!«, sagte Veda’hal’lodu, der neben ihm kniete und ihn mit einem starken mentalen Schlag geweckt hatte.
»Was ist passiert?«
»Die Primärrassenvertreterin hat uns überlistet«, antwortete Thul’hal’neiro.
»Du hast deine Aufgabe vernachlässigt, und sie ist geflohen«, konstatierte Veda’hal’lodu, während er aufstand.
»So ist es. Allerdings ist dein Grad des Versagens nicht geringer, denn du hast mich erst zu Versuchen mit den Emotionen angehalten.«
»Wir
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