1455 - Das Gewissen des Henkers
sehr auffiel.
»Was ich höre, ist ausgezeichnet, Enrico. Wann, denkst du, können wir eingreifen?«
»Nach der WM, wenn die neue Saison läuft.«
»Das ist mir ganz recht. Dann bleibt dir Zeit, die Fäden enger zu knüpfen.«
»Das hatte ich vor.«
»Dann höre ich wieder von dir.«
»Sicher, amico.«
»Grüße deine Familie von mir.«
»Mache ich gern. Mein Sohn wird ja bald nach London kommen und dort studieren.«
»Ja, das kann er. Ich habe auch eine kleine Wohnung für ihn. Er wird sich bestimmt bei uns wohl fühlen, und einen Wirtschaftsfachmann kann man in unseren Reihen immer gebrauchen.«
»Du sagst es.«
Vic Morrow war zufrieden, was sein fettes Lächeln zeigte. Die Geschäfte liefen prima. In Reichweite stand der Eiskübel mit der Champagnerflasche. Das Glas war auch da, und Morrow schenkte es sich fast bis zum Rand voll. Diesen Schluck hatte er sich wirklich verdient.
Seine Aufpasser saßen nahe der Bar an einem Tisch und spielten Karten. Es waren vier Männer. Geschmeidige Typen, die auch über Leichen gingen, wenn es darauf ankam.
Morrow trank, hielt dabei die Augen leicht geschlossen. Er genoss das Perlen auf seiner Zunge und bemerkte zugleich, dass sich das Polster der Couch links neben ihm bewegte.
Schnell stellte er das Glas ab. Er hatte keinen eingeladen, zu ihm zu kommen. Hastig drehte er den Kopf nach links und sah die fremde Person auf seiner Couch, die sich ihm zugedreht hatte und ihn offen anlächelte, obwohl sie mit einem Beil bewaffnet war…
***
Vic Morrow sagte in den ersten Sekunden nichts. Er war völlig geschockt. Ihm fielen keine Worte ein, und selbst den Atem hielt er an.
Dafür schaute er in das faltige Gesicht, das er noch nie in seinem Leben gesehen hatte.
»Hallo«, sagte der Fremde, der höflich lächelte und seine Hände auf das Endstück des Beilstiels gelegt hatte.
Morrow gab keine Antwort. Er starrte in das düstere Gesicht seines ungebetenen Besuchers, dessen Ausdruck auch durch das Verziehen der Lippen nicht verschwand.
»Hier bin ich.«
»Ja, das sehe ich. Und wie bist du hier hereingekommen? Kannst du mir das auch sagen?«
Der Henker drehte etwas verlegen den Kopf. »Ja, das kann ich dir sagen, aber es würde nichts bringen, weil es schwer zu glauben ist, wenn du verstehst.«
»Bitte?«
»Soll ich mich wiederholen?«
»Nein, nein, das ist nicht nötig«, flüsterte Morrow, der sich selbst gegenüber zugeben musste, doch ziemlich durcheinander zu sein.
Was hier geschehen war, das begriff er nicht.
»Das freut mich.«
Morrow schluckte. Seine Kehle fühlte sich trocken an, obwohl er erst vor kurzem einen Schluck getrunken hatte. Am meisten ärgerte sich der Wettpate darüber, dass er seine eigene Sicherheit verloren hatte. In dieser seiner Burg kam er sich in die Defensive gedrängt vor. Daran trug dieser Fremde die Schuld, der wie vom Himmel gefallen war oder sich einfach an seine Seite gebeamt hatte.
Aber das gab es nicht.
Wie war er dann hierher gekommen?
Vic strich sich mit der rechten Hand über die Wange. Auch die rötlichen Augen im Gesicht des Fremden gefielen ihm nicht. So etwas hatte er noch nie bei einem Menschen gesehen, und er merkte, dass ihm der Schweiß aus den Poren brach. Auch darüber ärgerte er sich.
»Wer bist du?«, fragte er.
»Ich heiße Lincoln Lester.«
»Aha.« Vic überlegte. Den Namen hatte er nie zuvor in seinem Leben gehört. Dann schielte er auf das Beil mit dem langen Stiel. »Und was ist das da?«
»Eine Waffe. Sie gehört zu meinem Beruf.«
»Ach…«
»Ja, ich bin Henker!«
Morrow schnappte nach Luft und verschluckte sich dabei. Die letzte Antwort war einfach zu viel für ihn gewesen. Aber er wusste nicht, ob er sie ernst nehmen sollte oder ob ein besonderer Spaßvogel neben ihm saß.
»Wieso Henker?«
»Oh, das ist eine lange Geschichte. Aber du brauchst keine Angst zu haben, dass ich die Waffe gegen dich einsetzen werde. Ich könnte dir den Kopf abschlagen oder spalten, doch deshalb bin ich nicht hier.«
»Wie tröstlich«, flüsterte Morrow. Er schielte zu seinen Bodyguards hinüber, die von allem nichts bemerkt hatten und in ihr Kartenspiel vertieft waren. Nur den beiden leicht bekleideten Frauen hinter der Bar war der Besucher aufgefallen. Sie taten allerdings nichts und verhielten sich so, wie man es ihnen eingetrichtert hatte.
»Ja, du hast richtig gehört.«
Vic verzog den kleinen Mund. »Und weshalb hast du mich dann hier besucht?«
»Weil ich mein Gewissen erleichtern will.«
Es kam
Weitere Kostenlose Bücher