1458 - Die Mordkapelle
trugen noch nicht ihr dichtes Laub. Deshalb war die Sicht recht frei, und zum ersten Mal atmete Vanessa auf, als sie den gewundenen Pfad sah, über den sie eigentlich hätte längst fahren müssen, um den Wald zu verlassen.
Mit einem letzten Schwung schob sie das Bike dem Pfad entgegen.
Aufatmend wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Für einen Moment schloss sie die Augen, um die Erleichterung zu genießen.
Lange währte diese Ruhe nicht. Der Druck in ihrem Innern blieb.
Die Furcht ließ ihr Herz schneller schlagen. Der Druck im Kopf war ebenfalls nicht verschwunden, und auch der Schmerz hatte sich gehalten. Trotzdem nahm sich Vanessa die Zeit, um zu lauschen, doch es war ruhig in der Umgebung. Bevor sie in den Sattel stieg, überlegte sie, wie die beiden Kerle sich wohl verhalten würden.
Was hätte sie an ihrer Stelle getan?
Eine Antwort darauf fand sie nicht, aber sie war nach wie vor auf die kleine Kapelle fixiert, die sie in der Nähe wusste. Sie lag nicht mehr weit entfernt, und wenn sie einige Schritte nach vorn und dann nach links ging, würde sie sie in den nächsten Minuten entdecken.
Über ihre Lippen huschte ein Lächeln. Ein erstes und sehr zaghaftes nach dem Überfall.
Sie bewegte sich vorsichtig. Das Rad schob sie neben sich her. Erst als sie auf dem schmalen Weg stand, schaute sie sich das Bike genauer an. Sie wollte sehen, ob es den Sturz überstanden hatte. Wenig später konnte sie aufatmen.
Es war alles in Ordnung. Es hätte sie auch gewundert, wenn an ihrem stabilen Rad etwas kaputt gegangen wäre.
Ihre Anspannung ließ etwas nach. Prompt spürte sie wieder die Schmerzen im Kopf. Da hämmerte und tuckerte es noch immer, aber es ließ sich aushalten, und das war gut so.
Sie würde es schaffen, das stand fest. Mit ihren achtzehn Jahren hatte sie schon viel erreicht. Sie kannte mehr als gewisse Leute, die mit ihrem Wissen angaben. Aber ihr Wissen bezog sich auf ein anderes Gebiet.
Es führte eine kleine Straße auf die Kapelle zu. Nur nicht von dieser, sondern von der anderen Seite her. Zum Wald hin war das Gelände eine einzige Unkrautwüste. Denn hier gab es niemanden, der das Gras mähte oder die wild wuchernden Büsche stutzte.
Sie wusste, dass es gefährlich war, auf diesem Untergrund zu fahren. Deshalb musste sie das Bike zunächst noch schieben. Danach wurde es dann besser.
Bevor Vanessa den Wald völlig verließ, blickte sie sich um und hielt Ausschau nach den Verfolgern. Sie war weder erfreut noch negativ überrascht, dass sie die drei nicht zu Gesicht bekam. Damit hatte sie gerechnet. Die Typen waren ebenfalls beweglich, und sie hatten sich sicherlich etwas einfallen lassen.
Genau das wollte Vanessa auch. Den kurzen Weg nehmen, die Straße erreichen und so schnell wie möglich weg. Alles andere interessierte sie nicht mehr.
Sie wollte auch nicht länger im Dorf bleiben. Einfach nur die Sachen packen und nichts wie weg.
Keine Bewegung. Niemand, der auf sie lauerte, und so atmete sie zunächst tief durch. Der Schweiß auf ihrer Stirn war kalt geworden.
Sie spürte auch den Wind, der durch ihre Joggingjacke drang und auf der Haut ein kaltes Gefühl hinterließ.
Sie richtete den Blick auf die helle Wand der Kapelle. Viel war von dieser weißen Farbe nicht zurückgeblieben. Wind und Wetter hatten dem Bau einen grünlichen Algenanstrich gegeben, und an einigen Stellen schimmerten graue Schatten durch. Zwei kleine Fenster an der Seitenwand ließen nur wenig Licht in den Innenraum fließen.
Es war ruhig. Vom Ort her war auch nichts zu hören. Eine friedliche Stille.
Und genau an die glaubte Vanessa nicht. Alles war Täuschung.
Diese Typen wussten, wie sie vorgehen mussten. Sie hatten Routine.
Sie verbreiteten Angst und waren verdammt gewalttätig.
Vanessa schob das Rad über den unebenen Boden. Sie merkte, dass ihre Hände zitterten, und dieses Zittern lief bis in die Arme hinein. Sie bewegte den Mund, ohne zu sprechen, dafür rasten ihre Gedanken wie wild hin und her.
Dann stand sie plötzlich vor der Mauer. Sie hatte es kaum gemerkt und war einfach gegangen. Jetzt musste sie nur noch auf den Weg, der zur Kapelle führte und vor deren Eingang endete.
Es waren nicht mehr als ein paar Meter, die sie zurücklegen musste. Zweige von Büschen kratzten an den Speichen und hakten sich öfter darin fest. Darum kümmerte sich Vanessa nicht, denn sie beschäftigte sich mit anderen Dingen. Warum brach ihr plötzlich der Schweiß aus? Eine Angstattacke hatte sie erfasst.
Den
Weitere Kostenlose Bücher