1458 - Die Mordkapelle
Grund kannte sie nicht. Sie sah auch nichts Bedrohliches. Alles blieb ruhig. Weshalb dann diese Unruhe, die auch nicht verging, als sie das Ende der Seitenwand erreicht hatte.
Sie sah bereits den Weg, der vor dem Eingang endete. Ihn selbst entdeckte sie erst, als sie einen Blick um die Ecke warf.
Und?
Leer!
Es lauerte niemand auf sie. Für einen Moment riss sie den Mund auf und saugte die kühle Luft ein. Sie hatte das Gefühl zu schweben, ein leichter Schwindel erfasste sie, und Vanessa wusste nicht, ob es das Gefühl der Erleichterung war.
Wo steckten die Verfolger?
Zu sehen waren sie nicht. Auch wenn sie den Weg entlangschaute, der sich durch die Wiesen wand. In der Ferne malten sich Häuser des Ortes in der klaren Luft ab. Sie sahen so klein wie Spielzeuge aus, dabei waren sie gar nicht weit entfernt.
Sollte es wirklich so sein, dass sich die Hundesöhne zurückgezogen hatten?
Alles wies darauf hin.
Nach einem Atemzug der Erleichterung schwang sich Vanessa Blair in den Sattel. Sie wollte nicht von einem Wunder sprechen, aber es kam ihr so vor.
Dass in ihren blonden Haaren noch Dreck und auch altes Laub klebte, störte sie nicht weiter. Für sie war nur wichtig, so schnell wie möglich die Flucht zu ergreifen.
In den Sattel und…
Etwas quietschte hinter ihr. Es war nicht laut, trotzdem sah sie es als Alarmzeichen an, und sie wollte in diesem Moment anfahren.
Dann das hässliche Lachen, und noch im selben Moment verspürte sie den harten Griff. Jemand hatte ihre Haare gepackt und zerrte daran. Vanessa hatte das Gefühl, dass ihr der Kopf vom Hals abgerissen werden sollte.
Ob sie schrie, wusste sie nicht. Sie wurde zurückgerissen, verlor den Halt, hörte noch ein hartes Lachen und danach nichts mehr.
Die Welt versank um sie herum, und Vanessa Blair wusste nicht mal, ob sie mit dem Kopf irgendwo gegengeschlagen war. Alles um sie herum verschwamm in einer düsteren Brühe…
***
Drei Augenpaare starrten auf sie nieder. Für eine Weile sprach niemand der Typen. Schließlich nickte Ryan Hurst, der so etwas wie der Anführer war.
»Das war’s.«
»Und jetzt?«, fragte Tom Burwell.
Hurst kicherte.
»Du hast schon eine Idee, oder?«, flüsterte der Dritte im Bunde. Er hieß Barry Munson.
»Klar habe ich die.«
»Und welche?«
»Wir nehmen sie uns vor. Der Reihe nach. Wir haben Zeit genug. Die kleine Schlampe soll endlich mal erleben, wie es ist, wenn man so richtig rangenommen wird.«
Tom kicherte hohl. »Nicht schlecht, wirklich. Wer fängt an?«
»He, langsam. Nicht immer der, der fragt. Das ist zunächst eine Sache für mich. Ich hatte die Idee.«
»Und wo?«, fragte Munson.
Ryan Hurst schaute sich um. Dabei blieb sein Gesicht starr. Dann aber lächelte er, als ihm plötzlich ein bestimmter Gedanke gekommen war. Seine Augen weiteten sich, und er drehte sich mit einer langsamen Bewegung um, sodass er schließlich auf die niedrige Tür der Kapelle blickte. Zu sagen brauchte er nichts. Seine beiden Kumpane fingen an zu kichern, und Burwell sprach von einer irren Idee.
»Da stört uns keiner«, kommentierte auch Barry Munson.
»Und niemand hört sie, wenn sie schreit«, flüsterte Hurst.
Tom Burwell hatte Bedenken, die er auch nicht für sich behielt.
»Was machen wir, wenn sie uns sieht?«
»Das kann sie ruhig.«
»Ach.« Tom starrte seinen Kumpan an und schüttelte begriffsstutzig den Kopf »Sie wird uns nicht erkennen.«
Es dauerte nicht lange, da hatten auch die beiden anderen es begriffen.
»Die Masken?«
»Genau die.«
An Burwells Rad befand sich an der Seite des Gepäckträgers eine Satteltasche. Und darin befand sich das, was sie unkenntlich machen sollte. Drei Masken, weiß wie Kalk. Sie bedeckten nur die Vorderseite des Kopfes und hatten drei Öffnungen für die Augen und den Mund. Sie waren normal geschnitten und sahen nicht so aus wie die, die in dem Film Scream getragen wurden, aber wer sie plötzlich und unerwartet sah, der würde einen tiefen Schreck bekommen.
Tom lief zu seinem Rad. Es lehnte an der anderen Seite der Kapelle. Vanessa hatte es nicht sehen können. Auch die anderen beiden Bikes waren dort abgestellt worden. Die jungen Männer hatten sich ausrechnen können, welchen Weg Vanessa nehmen würde, und sie hatten sich nicht geirrt.
Als Tom mit den drei Masken zurückkehrte, da leuchteten seine Augen bereits in wilder Vorfreude. Die nächste Stunde würde zu einer wahren Schau werden, das stand nicht nur für ihn fest. Eine Störung brauchten sie nicht zu
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