1458 - Die Spur der Haluter
gespannt.
Domo Sokrat richtete sich auf. Er lachte laut. „Sie werden es nicht glauben. Mehr als siebzig Jahre lang stand ich unmittelbar vor einer ihrer Siedlungen, einer Stadt, die aus Tausenden von bogenförmigen Gebäuden bestand. In jedem dieser brückenartigen Bauten lebten Hunderte dieser Wesen - die sozial Schwachen im unteren Teil, die Höhergestellten im oberen Bereich der Bögen. Ich konnte sehen, was um mich herum geschah."
„Ich kann mir schon vorstellen, wie es Ihnen erging. Sie wurden als Gott verehrt."
„Richtig", bestätigte Sokrates. „Allerdings hatten die Mommalker eine etwas eigenartige Einstellung zu ihrem Gott, denn dieser mußte ihnen täglich ihre Ohnmacht beweisen."
Icho Tolot blickte ihn überrascht an. Er wußte nicht, wie er es meinte. „Ihre Ohnmacht? Wie hätten Sie dies tun können? Sie konnten sich doch nicht bewegen."
„Ich war eine Gestalt aus einem für sie unbegreiflichen Material. Sie versuchten alles, um herauszufinden, welcher Art dieses Material denn nun war, und sie hatten durchaus eine Reihe von technischen Möglichkeiten dazu. Sie gingen mit allen möglichen Mitteln auf mich los, nur um sich selbst zu beweisen, daß ich stärker war als sie. Mit allen nur erdenklichen Werkzeugen versuchten sie, ein Stückchen Material aus mir herauszusprengen. Sie hämmerten und bohrten an mir herum, sie brannten Feuer ab, setzten Säuren ein und griffen zu immer raffinierteren Methoden."
„Aber es gelang ihnen nicht."
„Natürlich nicht. Sie konnten mir keine einzige Zelle entnehmen."
„Und wie reagierten sie darauf? Waren sie enttäuscht?"
„Nein, genau das Gegenteil war der Fall." Sokrates lachte. „Nach jedem gescheiterten Versuch zogen sie glücklich ab, weil ich ihnen durch meine Widerstandskraft bewiesen hatte, daß sie recht hatten mit ihrer Überzeugung, ich sei ein Gott."
Icho Tolot lachte ebenfalls, wenngleich es ihm kalt über den Rücken lief bei der Vorstellung, er selbst müsse irgendwo siebzig Jahre lang bewegungsunfähig herumstehen. „Jetzt verstehe ich", erwiderte er. „Sie wollen sich vergewissern, daß wir es bei den Gurrads nicht mit einem lebenden Wesen zu tun haben, sondern wirklich mit einer Steinfigur. Da kann ich Sie beruhigen.
Für mich gibt es nicht den geringsten Zweifel."
„Die gab es für die Mommalker auch nicht!"
„Wir werden das Standbild prüfen", versprach Icho Tolot. „Wir werden alle unsere technischen Mittel nutzen, bevor wir etwas unternehmen. Und wir werden die Gurrads verhören. Sie müßten wissen, woher das Standbild im Fluß kommt."
„Dann bin ich beruhigt."
„Aber ich bin noch nicht ganz zufrieden", sagte Icho Tolot. „Denn Sie haben mir noch nicht verraten, wieso Sie sich nach siebzig Jahren endlich befreien konnten."
„Das ist schnell getan", entgegnete Domo Sokrat. „Den Mommalkern erging es wie dem berühmten terranischen Esel, dem es zu wohl in seiner Haut geworden ist."
„Sie gingen aufs Eis?"
„Genau das. Ich konnte von mir aus überhaupt nichts für sie tun. Doch meine Anwesenheit genügte. Sie bewirkte, daß die Bewohner der Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung von ungeahntem Ausmaß erlebten. Sie mochten glauben, daß ihnen im Schatten eines Gottes nichts passieren konnte. Ihr Glaube an mich mobilisierte ihre Fähigkeiten und motivierte sie. Ich konnte verfolgen, wie die Stadt aufblühte und Besucher aus allen Teilen des Planeten kamen, um an dem wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung teilzuhaben."
„Und den Gott zu sehen", warf Icho Tolot ein. „Auch das", gab Sokrates widerwillig zu. „Es gefiel mir nicht, aber ich konnte es nicht verhindern. Je mehr Mommalker kamen und je mehr die Bevölkerungszahl der Stadt wuchs, desto geringer wurden meine Chancen, mich zu befreien."
„Aber dann geschah etwas."
„Richtig. Die Mommalker der Stadt wurden immer unzufriedener, je besser es ihnen erging. Sie wollten mehr und immer mehr, bis sie schließlich dazu übergingen, die Städte in der Umgebung anzugreifen und sich zu unterjochen. Daß es geschah, konnte ich nur indirekt verfolgen. Ich sah zunächst die Männer der Stadt ausziehen und mit reicher Beute zurückkehren. Später nahmen auch die Frauen an den Kämpfen teil. Und schließlich sogar die Kinder."
„Sie schienen unbesiegbar zu sein."
„Und ich war daran schuld. Ich tat zwar nichts dazu, aber meine Anwesenheit genügte, ihr Selbstbewußtsein bis ins Unermeßliche zu steigern und das ihrer Gegner zu zerstören. Schließlich
Weitere Kostenlose Bücher