1459 - Die Hexe und ihr Henker
war nicht durch einen Herzschlag gestorben, ihn hatte man brutal ermordet. Sekundenlang blieb ich in meiner tiefen Position. Ich sah auch das dunkle Blut und hörte das leise Summen in der Nähe. Hier hatten sich schon erste Fliegen eingefunden, die den Toten umschwirrten und vor allen Dingen scharf auf das Blut waren.
Wer hatte diesen Mann so grausam getötet?
Ich wusste es natürlich nicht. Mir blieben nur Ahnungen und Vermutungen, wobei ich nicht daran glauben wollte, dass Laurie Andrews einen derartigen Mord begangen hatte.
Ich saugte tief die Luft ein und stieß sie durch die Nase wieder aus. Die Haut in meinem Nacken spannte sich. Auf den Innenflächen meiner Hände hatte sich ein Schweißfilm gelegt. Mit dieser makabren Entdeckung hatte ich nicht gerechnet.
Ich rückte ein wenig von der Leiche ab, blieb aber am Boden. So schlug ich einen kleinen Bogen, um in die Nähe der Terrassentür zu gelangen.
Und wieder machte ich eine Entdeckung. Die Terrassentür war nicht völlig geschlossen. Sie stand sogar so weit offen, dass es mir möglich sein würde, mich durch den Spalt zu schieben.
Ich kroch dicht heran, bis ich den Klang der Stimmen vernahm.
Es waren zwei Frauen, die miteinander sprachen.
Eine Stimme kannte ich. Sie hatte mich so barsch bei meiner Ankunft abgewiesen.
Und die zweite Stimme?
Vorsichtig hob ich den Kopf an. Jedes noch so kleine Risiko wollte ich vermeiden. So legte ich mich ein wenig auf die Seite, damit ich eine bessere Sicht hatte.
Ich sah die schattenhaften Umrisse des dunklen Mannes, der mir den Rücken zukehrte. Jetzt erkannte ich, dass er nicht einen Mantel trug, sondern einen weiten Umhang mit Kapuze, die er über den Kopf gezogen hatte. Aber meine Aufmerksamkeit galt den beiden Frauen, die seitlich von ihm etwas tiefer im Raum standen. Beide trugen helle Kleidung. Nur wenn ich meine Blicke höher gleiten ließ, konnte ich sie unterscheiden. Die eine Frau hatte hellblondes, langes Haar und ein seltsam bleiches Gesicht.
Die zweite Frau war älter. Dunkleres Haar, das nicht frisiert war, wuchs auf ihrem Kopf. Als sie sich bewegte, sah ich ihr Gesicht besser. Emma Smith hatte mir Laurie Andrews zwar nur oberflächlich beschrieben, aber es gab für mich keinen Zweifel, dass diese Frau die Besitzerin der Boutique war.
Und ihre Stimme klang anders, als die, die mich so barsch abgewiesen hatte.
Die Frau mit den blonden Haaren passte genau zu Sheilas Beschreibung. Es war die Person, die plötzlich in dem Geschäft aufgetaucht und dann wieder auf eine geheimnisvolle Art und Weise verschwunden war. Nur sah ich sie jetzt nicht mehr als Nackte.
Was hatten die beiden miteinander zu tun? Ich kannte die Antwort darauf nicht, doch ich glaubte nicht, dass die beiden Freundinnen waren, und so lauerte ich gespannt auf die nächsten Minuten…
***
Die große Angst war verflogen!
Nicht, dass sich Laurie Andrews sicher gefühlt hätte, aber sie spürte den Druck nicht mehr so stark, dem sie ausgesetzt war. Die Lage hatte sich ein wenig entspannt.
Und es hatte zwischendurch geklingelt. Lucia war zur Tür gegangen und nach einer Weile wieder zurückgekehrt. In der Zwischenzeit war Laurie mit dem Henker allein gewesen. Allein ihn anzuschauen hinterließ bei ihr schon einen Schauer. Aber er tat ihr nichts.
Er stand starr auf dem Fleck und stützte sich an seiner Mordsense ab.
»Wer war es?« Laurie wunderte sich über den eigenen Mut, so eine Frage zu stellen.
»Ein Mann.«
Mit der Antwort konnte Laurie nicht viel anfangen. »Und was hat er gewollt?«
»Mit dir sprechen.«
»Hat er seinen Namen gesagt?«
»Ja, er heißt John Sinclair.«
»Den kenne ich nicht.«
»Ist auch gut so.«
Für Laurie war das nicht gut. Sie wollte mehr über diesen unerwarteten Besucher wissen.
»Hat er noch etwas gesagt?«
Lucia zog ihre Lippen in die Breite. »Klar, er hat etwas gesagt. Er war wohl ein Polizist!«
Laurie Andrews schluckte. In diesen Augenblicken dachte sie daran, dass ein Polizist ein wirklicher Freund und Helfer sein konnte.
Aber sie konnte sich nicht vorstellen, was ein Polizist von ihr wollte.
Ein Strafmandat kassierte man nicht an der Haustür. Da bekam man eine Zahlungsaufforderung zugeschickt. Er hatte wohl einen anderen Grund für seinen Besuch gehabt. Nun war er wieder weg, und damit hatte Laurie schon ihre Probleme. Gern hätte sie ihn gesprochen.
»Keine Chance, Laurie.«
»Ich weiß.« Sie senkte den Blick. »Aber ich weiß nicht, was du von mir willst. Ich kenne dich und
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