1460 - Lockruf des Trolls
hatten die ersten Häuser erreicht. Esgair wirkte auch bei Tageslicht und selbst im Sonnenschein verschlafen und etwas düster.
Das lag an diesem feuchten Klima, denn es sorgte auch dort für ein Wachstum, wo es normalerweise nicht hingehörte. Wie die Gassen ursprünglich ausgesehen hatten, war nicht zu erkennen. Im Laufe der Zeit jedenfalls hatten Efeu, Moose und andere Gewächse ihnen einen anderen Anstrich gegeben und für dieses Farbenmeer in Grün gesorgt.
Ich ließ meinen Blick über eine recht breite Straße schweifen. Es gab auch hier Pflaster, aber das Gras und andere Bodendecker hatten es an manchen Stellen überwuchert.
Es gab hier auch Häuser mit angebauten Ställen. Sie wirkten verlassen, denn die Kühe standen auf der Weide. Nur hin und wieder hörten wir das Grunzen einiger Schweine.
Auf der Straße waren nur wenige Menschen zu sehen. Ein Mann flickte an einem Fahrradreifen, vor einem Kramladen standen zwei Frauen und schwatzten miteinander. Die schmalen Wege, die zwischen den Häusern hindurchführten, verliefen manchmal im Nichts.
Hin und wieder endeten sie auch vor irgendwelchen Schuppen.
Eine Kirche sahen wir nicht, und ein Friedhof war uns auch nicht aufgefallen.
»Wo wohnt unser Freund denn?« fragte Justine.
»Das werden wir gleich haben.« Ich lenkte den Jeep auf die Seite, wo der Mann hockte und einen Reifen flickte. Er schaute nicht auf, als ich das Auto verließ. Erst als mein Schatten über ihn fiel, blickte er hoch und zwinkerte.
»Guten Tag«, grüßte ich freundlich.
»Und?«
»Ich hätte gern eine Auskunft von Ihnen, wenn möglich.«
»Versuchen Sie es.«
»Wir sind mit Peter Login verabredet und…«
»Ach, der Maler?«
»Genau.«
»Ja, der wohnt hier. Aber nicht hier direkt im Ort. Da müssen Sie schon weiter fahren.«
»Und wohin?«
Der Mann erhob sich. Er deutete die Straße hinab. »Bis zum Ende. Später müssen Sie rechts abbiegen. Da kommt dann ein Weg, in den Sie reinfahren.«
»Danke.«
Ich wurde von oben bis unten betrachtet. »Mögen Sie die Bilder denn, die Login malt?«
»Ich weiß es noch nicht. Bisher habe ich sie nur im Internet gesehen, und da bin ich aufmerksam geworden.« Das stimmte zwar nicht, aber es sollte den Mann beruhigen.
»Internet?«
»Schon gut…«
Der Mann ließ mich nicht so leicht gehen. »Der Typ malt auch Bilder mit Trollen.«
Jetzt spielte ich den Überraschten. »Sagen Sie nur. Trolle sind doch so komische Zwerge.«
»Und ob. Sie sind nicht nur komisch, sondern auch gefährlich. Das sage ich Ihnen.«
»Kennen Sie denn einen?«
Er fing an zu lachen. »Hüten Sie sich davor. Sie sind immer da, und sie sind überall. Wer es nicht gelernt hat, sich zu schützen, der ist verloren.«
»Das hört sich ja schlimm an. Wie – ich meine – ähm, wie schützt man sich denn vor ihnen?«
»Weiß ich nicht. Aber die Leute, die kleine Kinder oder Babys haben, legen Puppen vor ihr Haus. Die können die Trolle dann rauben und nicht die Kinder.«
»Verstehe. Sie rauben also Kinder.«
»Genau, Mister.«
»Und was machen sie damit?«
»Sie tauschen sie aus gegen ihre eigenen. Manchmal saugen sie ihnen auch die Seelen aus, um Kraft für sich zu bekommen. Später werfen sie die Hüllen dann einfach weg.«
»Das ist ja schrecklich.«
»Das können Sie laut sagen.«
»Ich möchte ja nur Bilder kaufen, und ob ich ein Trollmotiv aussuchen werde – ich weiß nicht.«
Der Mann nickte, dann kümmerte er sich wieder um seine Arbeit.
Er schien zufrieden zu sein, nachdem er mir eine gewisse Angst eingejagt hatte. Er konnte ja nicht wissen, dass er damit bei mir an der falschen Adresse war. Er hatte mich nur noch neugieriger auf diese Wesen gemacht.
Justine hatte brav im Jeep gewartet. Als ich die Tür öffnete, fragte sie: »Nun? Schlauer geworden?«
»Etwas schon.«
»Was gibt es denn?«
Ich schnallte mich an und erzählte, was ich von dem Mann erfahren hatte. Sie lachte nur und sagte dann: »Puppen vor die Haustür legen, wer tut denn so etwas? Man muss sie zerreißen, wenn man sie findet. Das wirst du schon erleben, John.«
»Klar. Aber zuerst fahren wir zu Peter Login.«
»Sicher. Wenn er kein Troll ist.« Sie gab sich keine Mühe, ihr Kichern zu unterdrücken.
Im Gegensatz zu ihr schwieg ich und startete den Jeep.
Es gab zwar kleinere Kaffs als Esgair, aber das Dorfende hatten wir schnell erreicht und mussten jetzt auf den Weg achten, der rechts abging und zum Haus des Künstlers führte.
Esgair blieb hinter uns.
Wir waren
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