1465 - Der Blutschwarm
Wollen sie das Dorf ausrotten?«
»Nein, nein, so weit wird es nicht kommen.«
»Aber wo ist die Erklärung?«
Der Pfarrer schaute in die Gesichter der vier Sargträger. Es waren aufrechte Menschen, die keinem etwas zu Leide taten, und mussten jetzt mit diesem grauenvollen Erlebnis fertig werden.
»Ich habe keine Erklärung, Freunde. Ich hätte auch nie gedacht, dass es so große Fledermäuse gibt.«
»Die auf uns Menschen Jagd machen.«
»Leider.«
»Keiner von uns will mehr nach draußen.« Der Sprecher zeigte auf seine Freund. »Dass wir hier in der Kirche sind, das tun wir nur Ihnen zu Gefallen, Reverend.«
»Danke, das weiß ich zu schätzen. Ich verspreche euch, dass wieder alles in Ordnung kommen wird.«
So recht konnten sie das nicht glauben. »Wie denn? Was wollen Sie gegen diese Brut unternehmen? Beten?«
»Lasst uns erst mal den Sarg zum Grab bringen. Dann sehen wir weiter.«
»Okay.«
Bei einer normalen Beerdigung wurde der Sarg mit der Leiche mit einer gewissen Würde getragen. Das konnte jetzt keiner mehr von den Männern verlangen. Sie wollten alles so schnell wie möglich hinter sich bringen und gingen entsprechend rasch dem nicht sehr weit entfernt liegenden Ziel entgegen.
Man konnte den Friedhof von der Kirche her auch über einen Nebenweg erreichen. Den nahmen die Männer auch.
Sie hatten es eilig, die Totenkiste in die Erde zu lassen. Sie kannten nur eine Blickrichtung, die nach vorn. Im Gegensatz zu Ian Preston, der sich schon umschaute und auch die Kronen der Bäume beobachtete, um rechtzeitig zu erkennen, ob sich dort nicht jemand eingenistet hatte und auf eine Angriffschance lauerte.
Keine schwarze Fluggestalt füllte irgendwelche Lücken zwischen Ästen und Zweigen aus. Die Natur zeigte sich so, wie sie immer war, und das beruhigte den Geistlichen schon mal.
Als die vier Träger das schon ausgehobene Grab erreichten, waren sie durch das schnelle Laufen außer Atem und schwitzten. In ihren Gesichtern waren die tiefsten Bisswunden mit Pflastern überklebt.
»Wollen Sie noch ein Gebet sprechen, Reverend?«
Preston schüttelte den Kopf. »Nein, die kleine Messe hat ausgereicht. Lasst ihn in die Tiefe.«
»Gut.«
Seile lagen bereit, und wenig später war zu erkennen, dass die vier Sargträger dies nicht zum ersten Mal taten. Allerdings waren sie heute ziemlich nervös. Beim Herablassen schwankte die Totenkiste.
Immer wieder stieß sie gegen die Innenwände.
»Zugeschaufelt kann das Grab auch noch morgen werden«, erklärte der Pfarrer.
»Gut.«
»Ihr könnt dann gehen.« Er lächelte den Männern zu. »Und danke auch.«
»Keine Ursache, Reverend.«
Die Vier verschwanden so schnell, als hätten sie Tote als Zombies aus den Gräbern steigen sehen, die Anstalten machten, sie zu jagen.
Das alles störte den Pfarrer nicht mehr. Ihn beschäftigten andere Dinge. Der Angriff wollte ihm nicht aus dem Kopf. Er konnte ihn einfach nicht vergessen, und er überlegte, woher diese verfluchten Bestien gekommen waren.
Dass sie sich seine Kirche als Versteck ausgesucht hatten, das wollte er nicht mehr in Frage stellen. Sie hatten sich in das mächtige Gebälk eingenistet. Um sie dort aufzuscheuchen, hätte Preston eine Leiter hochgehen müssen, nachdem er die schmale Treppe hinter sich gelassen hatte. Genau davor fürchtete er sich. Wenn er sich einmal in dieser Höhe befand, gab es in dieser relativen Enge keinerlei Fluchtmöglichkeit mehr. Da konnte er sich nur in die Tiefe stürzen, um einem bösen Schicksal zu entgehen.
Ian Preston starrte in die Grube und auf den Sargdeckel. Er wusste ja, wer darunter lag, und er stellte sich vor, was Toby McGuire alles durchlitten haben musste, bevor der Tod ihn ereilt hatte, der so etwas wie eine Erlösung für ihn gewesen sein musste.
Furchtbar. Das konnte man sich kaum vorstellen.
Der Reverend hob den Blick wieder an und ließ ihn durch die nahe Umgebung wandern. Friedhöfe in kleinen Orten sind oft sehr gepflegt. Dieser hier machte keine Ausnahme. Es gab kein Grab, für das sich die Nachkommen hätten schämen müssen.
Es lag die übliche Ruhe über dem Gelände, und nichts wies darauf hin, welches Grauen sich hier noch verbergen konnte. Der Pfarrer kannte die Namen der Toten alle. Wie alt der Friedhof genau war, wusste er nicht. Selbst im Dorf schwankten die Angaben darüber.
Der späte Nachmittag war vorbei. Noch stand die Junisonne als Ball am Himmel, der seine Kraft auf die Erde nieder schickte. Aber er würde bald verschwinden und
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