1467 - Landhaus der Leiden
wann ist sie denn weg?«
»Seit gestern. Praktisch seit vierundzwanzig Stunden. Und auch ihr alter Wagen ist nicht auffindbar.« Sie sprach weiter, ohne dass sie von uns aufgefordert worden wäre. Aber sie musste sich dabei bewegen und ging deshalb auf und ab.
Johnny flüstert mir zu: »Pass mal auf, John, da kommen bestimmt zwei Dinge zusammen.«
»Abwarten.«
»Sie war auf Tour«, sagte die Verwalterin. »Ruth fuhr zum Landhaus, um zu kontrollieren, ob dort alles in Ordnung war. Das wird immer so gehalten, bevor neue Gäste einziehen.«
»War denn alles in Ordnung?«
Kate Mitchell drehte sich mir zu. »Nein, Mr. Sinclair, das ist es wohl nicht gewesen. Sie rief mich über Handy an und meldete, dass sie Schmutzspuren im Haus gefunden hätte. Danach habe ich nicht mehr mit ihr gesprochen. Sie hat sich nicht mehr gemeldet.«
»Haben Sie im Landhaus nachgesehen?«
»Ja, das habe ich. Aber keine Schmutzspuren mehr gesehen. Wahrscheinlich hat Ruth sie entfernt. Ich habe dann versucht, sie über ihr Handy zu erreichen, nur habe ich keine Verbindung mit ihr bekommen. Da kann man schon misstrauisch werden und das Schlimmste vermuten.«
»Klar, so muss man denken. Aber können Sie sich vorstellen, wer solch ein Verbrechen verüben könnte? Ich weiß, die Frage ist nicht besonders klug, aber ich habe meine Gründe.«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Wirklich nicht?«
»Ich muss gar nicht nachdenken, Mr. Sinclair. Diese Gegend ist friedlich. Hier machen die Menschen Urlaub. An irgendwelche Verbrechen ist da wirklich nicht zu denken.«
»Und was ist mit dem Green Man?« fragte Johnny Conolly ganz locker dazwischen.
Kate Mitchell schwieg und stand plötzlich still.
»Was haben Sie da gesagt, junger Mann?«
Johnny wiederholte seine Frage.
Die Verwalterin schlug die Augen nieder. Dann schüttelte sie den Kopf und lächelte auch.
»Nein, nein, fangen Sie nicht schon wieder damit an. Das ist eine Legende, an die schon vor fünfzig Jahren kaum einer geglaubt hat…«
»Es soll den Green Man aber gegeben haben. Und ihm hat das Landhaus gehört.«
Kate Mitchell winkte ab. »Um Himmels willen, das ist ja verrückt. Das liegt so lange zurück. Man hat die Leiche dieses Green Man nie gefunden. Sie ist längst vermodert. Wo, das weiß ich nicht. Aber ich gebe zu, dass man sich die Geschichte von ihm noch in der Umgebung erzählt. Da will man kleinen Kindern wohl Angst einjagen, denke ich, was ich persönlich für schlimm halte.«
»Es hat damals Tote gegeben, hörten wir«, sagte ich.
»Das weiß ich nicht.«
»Oder Verschwundene, besser gesagt.«
»Ja, das stimmt. Der Green Man war ein Monster, ein Ungeheuer, so erzählt man sich. Er soll sich die Menschen geholt und sie angeblich in den Sumpf gesteckt haben.«
»Über ein Motiv wissen Sie nichts?«
»Nein, Mr. Sinclair. Ich weiß praktisch gar nichts.« Sie hob die Schultern. »Die Geschichte ist vergessen, zum Glück. Also Schwamm drüber.«
»Und das Verschwinden von Ruth Robertson?« fragte Johnny.
»Denken Sie denn gar nicht an sie?«
Die Frau war von der Frage überrascht worden. Sie wusste zunächst nicht, was sie sagen sollte. Dafür atmete sie scharf aus. Aber sie dachte nach, sonst wäre ihr Gesicht nicht so rot angelaufen.
»Natürlich denke ich an sie«, erwiderte sie nach einer Weile mit leiser Stimme. »Aber ich frage mich, wie es kommt, dass Sie gerade Ruth im Zusammenhang mit dem damaligen Mörder erwähnen. Das ist für mich seltsam.«
»Weil wir an gewisse Dinge denken, die eventuell Parallelen aufweisen.«
»Und was wäre das?«
»Dass der Green Man nicht tot ist, zum Beispiel.«
Sie schaute mich an, als hätte sie einen Verrückten vor sich. »Das meinen Sie doch nicht im Ernst, Mr. Sinclair!«
»Doch, das meine ich. Es ist mein voller Ernst. Es sei denn, Sie haben eine bessere Erklärung.«
»Nein, die habe ich nicht. Ich – ich – habe überhaupt keine Erklärung, verdammt. Sie sind von der Polizei. Aber dass Ruth von einem Monster getötet worden ist, das schon längst tot sein muss, das kann ich nicht akzeptieren. So etwas kommt nur in diesen – diesen komischen Horrorfilmen vor.«
»Manchmal übertrifft das Leben den Film.«
»Ja, so sagt man.«
»So verhält es sich in diesem Fall«, erklärte ich.
Kate Mitchell nahm wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz. Sie konnte es nicht fassen. Sie schüttelte immer wieder den Kopf und hob zugleich die Schultern an.
»Ich weiß nicht mehr, was ich denken oder tun soll. Das können
Weitere Kostenlose Bücher