147 - Stunde X
Naoki klopfte, die Tür öffnete und den Kopf hineinstreckte. »Bist du so weit, Matt? Wir müssen los.«
»Gleich.« Er wartete, bis die Tür wieder ins Schloss fiel. »Ich verstehe dich nicht, Aruula. Wenn ich dir sage, dass der Flug nicht gefährlicher ist als das Kommando eines Stoßtrupps am Krater – warum glaubst du mir nicht?«
»Weil es… weil ich…« Sie wandte sich ab, ging zum Fenster, starrte in die Nacht hinaus. Atmete tief durch. »Ich hatte eine Vision, Maddrax«, sagte sie dann. »Ich habe dir nichts davon erzählt, weil ich nicht glaubte, dass du wirklich… dort hinauf fliegst.«
»Was für eine Vision?« Er trat hinter sie, zögerte aber noch, sie zu berühren.
»Ein Blick in die Zukunft. Eine Zukunft, in der du…«, sie rang um Worte, »… in der du sterben wirst, Maddrax. Wir waren beide an Bord der Raumstation… Feuer überall… und du… warst tot. « Die letzten Worte flüsterte sie nur noch.
Er umfasste sanft ihre Schultern. »Du hast schlecht geträumt, Aruula«, sagte er eindringlich. »Niemand kann die Zukunft voraussagen. Schau, wenn ich –«
»Du glaubst mir nicht!« Sie fuhr herum. »Ich weiß, dass du nichts von den Zeichen der Götter hältst, Maddrax. Aber ich glaube daran! Und deshalb begreif endlich, dass ich nicht mit dir kommen kann. Wenn ich es tue, wird sich mein Traum erfüllen, davon bin ich überzeugt. Nur wenn ich nicht bei dir dort oben bin, kann das Schicksal einen neuen Weg beschreiten! Oder wenn du den Flug absagst.«
Er begriff – auch wenn er es nicht verstand. Matthew Drax war Realist; für ihn zählte das Hier und Jetzt. Aber er wusste, dass er sie nicht würde überreden können.
»Du wirst sehen – ich komme zurück, Aruula«, sagte er.
»Wenn alles vorbei ist, werde ich in Moskau landen. Warte dort auf mich.« Er nahm sie ein letztes Mal in den Arm und küsste sie lange. Danach drehte er sich um und verließ ohne ein weiteres Wort das Gebäude. Aruula stand am Fenster und sah, wie die Umrisse seines Körpers mit der Dunkelheit verschwammen…
***
Die Stunde X war angebrochen.
Aus der Sicht der Queen fiel der Abschied zu kurz aus, aus Yoshiros Perspektive zu lang. Die Königin und der General wussten, dass es möglicherweise ein Abschied für immer sein würde. Alle, die an der Zeremonie teilnahmen, wussten das.
Gerade deshalb war ein ausgiebiges Abschiedsritual unverzichtbar – fand Victoria. Gerade deshalb sollte man es möglichst schnell hinter sich bringen – fand Yoshiro.
Der Kompromiss befriedigte weder die Queen noch den General.
Vierundzwanzig EWATs parkten mit offenen Luken auf dem Flugfeld vor den Houses of Parliament und auf der Westminster Bridge; dreizehn der Community-Force London, elf der Community-Force Salisbury. Hundertzweiundneunzig Männer und Frauen standen in Reih und Glied am Rande des Flugfelds; hundertvier aus der Community London, achtundachtzig aus der Community Salisbury. Das waren jene, die gingen.
Über vierhundert Männer und Frauen standen rund um das Flugfeld und die EWATs und an der Geländerbrüstung der Brücke. Hundertdreiundzwanzig Community-Angehörige waren aus Salisbury angereist. Selbst ein paar Lords hatten sich unter die Leute gemischt. Die meisten dieser Menschen trugen zivile Kleider, hielten irgendwelche Blumen oder weiße Tücher in den Händen und winkten scheu.
Das waren jene, die blieben.
Die Queen hielt eine Rede. Dem Manuskript in ihren Händen nach zu urteilen hätte es eine ziemlich lange Rede werden sollen.
Aber schon nach drei Sätzen kämpfte sie mit den Tränen. Und so konnte sie nicht viel mehr sagen als ungefähr dies: Vielen Dank und kommt gesund wieder.
Sir Jefferson, königlicher Berater und der offizieller Poet der Community London, verlas eines seiner Gedichte. Es handelte von einem Keimling, auf den jemand einen Stein legte, und nach vielen Jahren stemmte der Keimling den Stein zur Seite und wuchs zu einem mächtigen Baum heran. Und da er sich in seiner Jugend mit dem Stein auseinanderzusetzen hatte, trotzte er als reifer Baum auch dem verheerendsten Sturm. Es war ein dankenswert kurzes Poem.
Danach schritten Queen Victoria, Sir Leonard und Lady Josephine die Reihen derer ab, die gingen. Jedem schüttelten sie die Hand. Seine Geliebte, General Priden, küsste Leonard Gabriel zum Abschied vor den Augen der Öffentlichkeit. Auch bei General Yoshiro blieb Sir Leonard länger stehen als bei den anderen Angehörigen der Community-Forces. »Viel Glück, General
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