1470 - Der Wechselbalg
zahlreichen Köstlichkeiten auswählen.
»Was möchtest du denn, Seth?«
»Weiß nicht.«
»Wurst, Schinken? Schweinebraten? Getrocknetes Rindfleisch? Oder soll ich Eier und Speck in die Pfanne schlagen?«
»Nimm, was du willst.«
»Gut.«
Zu trinken gab es kalten Tee. Der Schweinebraten war bereits geschnitten. Ihn stellte Wayne ebenfalls auf den Tisch und schnitt Scheiben des dunklen Brots ab.
»Dann lass es dir schmecken, Seth.«
»Danke. Du isst nichts?«
»Später.«
Seth benahm sich wie ein normaler Mensch. Er aß und trank das, was auch Menschen zu sich nahmen, und so konnte sich Wayne Rooney immer weniger vorstellen, dass es sich bei dem Jungen um einen Engel handelte oder eine Mutation.
Er besaß keine Erfahrung darin und würde sich unter Umständen schlau machen müssen. Zunächst aber musste er den Jungen essen lassen, was ihm offensichtlich gut bekam, denn er aß mit großem Appetit. Die Szene wirkte wie ein Familienidyll. Doch das war es nicht, denn Wayne hatte nicht vergessen, was Seth ihm mitgeteilt hatte. Dass er von den Gesichtslosen verfolgt wurde. Über sie konnte sich Rooney keine Vorstellung machen. Er war Realist, so etwas, was er hier erlebte, kam in seinem Job nicht vor. Da schlug er sich mit anderen Typen herum, die zwar auch gefährlich waren, aber auf eine begreifbare Art und Weise.
»Das Essen ist gut?«
»Ja, danke.«
»Kennst du so etwas?«
Seth schaute auf die noch verbliebenen restlichen Scheiben Bratenfleisch. »Ich kann es nicht sagen. Ich habe wohl gegessen, aber keine Erinnerung mehr daran.«
»Und Flügel hattest du schon immer – oder?«
»Ja – nein…«, er hob die Schultern. »Ich kann es dir wirklich nicht sagen.«
»Schon gut. Wir werden sehen, was sich machen lässt. Du brauchst keine Angst davor zu haben, dass ich dich der Öffentlichkeit präsentieren werde, das nicht, aber wir müssen etwas unternehmen, und das habe ich schon in die Wege geleitet.«
Seth schaute hoch. »Was meinst du damit?«
»Wir werden bald Besuch bekommen.«
»Oh…«
Wayne Rooney winkte ab. »Keine Panik, Seth. Bitte nicht aufregen. Mach dir keine Sorgen. Der Mann, der zu uns kommen wird, ist so etwas wie ein Kollege von mir. Er heißt John Sinclair:«
»Was bedeutet Kollege?«
»Ich bin Polizist.«
Rooney war gespannt, wie Seth auf diese ehrliche Antwort reagieren würde.
Er sagte erst mal nichts und kümmerte sich um den Rest seiner Mahlzeit. Erst als er den Teller leer gegessen hatte, sagte er mit leiser Stimme.
»John Sinclair…?«
»Ja, so heißt der Mann.«
Seth hob die Schultern. »Es kann sogar sein, dass ich den Namen schon mal gehört habe. Ganz unbekannt ist er mir nicht.«
»Kennst du ihn?«
»Nein, aber es wurde wohl mal von ihm gesprochen.« Er schüttelte den Kopf. »So genau weiß ich das alles nicht. Es ist zu viel passiert. Ich bin dann einfach geflohen.«
»Und woher bist du gekommen?«
Seth starrte Wayne Rooney über den Tisch hinweg an. »Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß es wirklich nicht. Ich habe gelebt, mehr nicht.«
Rooney nickte. »Okay, ich denke, es wird sich alles aufklären, was dich betrifft. Wir können uns dabei auf John Sinclair verlassen. Er ist ein Experte.«
»Aber ein Mensch – oder?«
»Sicher.«
Die beiden schwiegen. Draußen war es nicht mehr so ruhig wie zuvor. In der Ferne grummelte es wieder, und man musste davon ausgehen, dass ein neues Unwetter im Anmarsch war.
Seth hob den Kopf. Dabei erhaschte Wayne einen flüchtigen Blick in seine Augen. Er glaubte, einen ängstlichen Schimmer dort zu erkennen und entdeckte die Gänsehaut im Gesicht des Jungen.
»Stimmt was nicht?«
Seth stand auf, ohne eine Antwort gegeben zu haben. Rooney sah, dass sich unter dem für ihn viel zu weiten Hemd die Flügel bewegten. Es hatte den Anschein, als wollte er wieder starten und wegfliegen.
»Bitte, Seth, bleib ruhig…«
»Ja, das bin ich, aber da ist etwas, das ich spüren kann.«
»Und was spürst du?«
Er musste nicht lange nachdenken, schaute zur Tür hin und flüsterte: »Meine Verfolger. Sie – sie – sind in der Nähe…«
***
Man hätte sagen können, dass Autofahren bei einer großen Schwüle kein Problem ist, wenn der Wagen eine Klimaanlage hat. Das stimmte auch, aber Suko, der den Rover fuhr, hatte trotzdem seine Probleme, was nicht an der Schwüle lag, sondern an dem Unwetter, das sich über der Südhälfte der Insel ausgetobt und auch die Millionenstadt an der Themse nicht verschont hatte.
Es war zwar
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