1470 - Der Wechselbalg
zögerte noch. Jedem von uns war klar, dass er einen innerlichen Kampf ausfocht. Sein Gesicht war eigentlich immer recht starr gewesen. Das änderte sich nun. Die Haut an seinen Wagen zuckte.
Die Lippen zitterten leicht, er blickte auf das Kreuz, dann schaute er auf seine eigene Hand, und ich konzentrierte mich auf meinen Talisman, ohne etwas zu spüren. Es gab keine Erwärmung, es gab kein Licht, das über die Balken gehuscht wäre. Es war einfach nur das Kreuz vorhanden, ohne dass es reagiert hätte.
»Bitte, Seth…«
Er nickte. Es war das äußere Zeichen, dass er sich zu etwas Bestimmtem entschlossen hatte. Seine Hand tastete sich vor.
Mir war, als wäre das Auge einer Kamera nur auf diese bestimmte Szene gerichtet. Alles andere war in den Hintergrund getreten. Nur das Kreuz zählte.
Und dann war es so weit.
Die Hand zuckte auf das Kreuz zu.
Selbst mich überraschte der schnelle Griff. Die Finger seiner anderen Hand krümmten sich. Sie fassten das Kreuz an, zerrten es von meiner Hand weg, und was dann geschah, überraschte uns alle.
Für einen Moment ging alles gut. Dann schrie der Junge auf. Zugleich fing das Kreuz an zu leuchten, und ohne dass eine fremde Kraft mitgeholfen hätte, sprang es von der Handfläche des Jungen hoch in die Luft, fiel zurück, landete aber nicht mehr auf seiner Hand, sondern mit einem hell klingenden Geräusch auf dem Tisch.
Seth sackte auf seinem Sitz zusammen. Den rechten Arm hielt er ausgestreckt. Die Hand lag mit dem Rücken auf der Tischplatte, sodass wir die Handfläche mit dem Kreuz darauf sahen.
Nein, das war nicht das echte Kreuz. Das lag auf dem Tisch und in meiner Griffweite.
Auf der Innenfläche von Seths Hand war recht deutlich der rötlich braune Abdruck des Kreuzes zu erkennen…
***
Genau der Beweis hatte uns gefehlt. Jetzt wussten wir, zu wem dieser Junge gehörte. Er passte nicht in unsere Reihe. Jeder von uns hätte das Kreuz anfassen können, ohne dass etwas passiert wäre. Das war bei ihm nicht der Fall. Es hatte einen Abdruck hinterlassen, aber es hatte ihn nicht vernichtet, auch daran mussten wir denken. Das Kreuz hatte uns nur bewiesen, zu wem der Junge wirklich gehörte und dass er sich in einer anderen Welt besser aufgehoben fühlte.
Er schaute auf seine Wunde. Er gab keinen Kommentar ab. In seinem Blick stand das Nicht begreifen. Die Haut in seinem Gesicht glänzte schweißnass. Der Blick flackerte, und er sackte in sich zusammen.
Auch Wayne Rooney hatte seine Sprache wieder gefunden. Er fühlte sich wohl noch für Seth verantwortlich, denn er fragte mit leiser Stimme: »Was haben Sie mit dem Jungen gemacht, John? Verdammt, das ist doch nicht normal!«
»Ist es auch nicht«, erklärte ich.
»Und warum haben Sie…«
»Es war ein Test«, erklärte ich. »Ein ganz einfacher Test. Ich musste schließlich wissen, woran ich war. Seth ist kein normaler Mensch, begreifen Sie das, und ich wollte wissen, wie unnormal er wirklich ist.«
»Aber er ist verletzt.«
»Nur ein Zeichen«, beruhigte Suko.
»Er wird Schmerzen haben.« Rooney gab nicht auf.
»Das ist möglich«, gab ich zu. »Aber Seth ist nicht vergangen, das ist ein Vorteil…«
»Wieso?«
Rooney war noch immer erregt, und ich bemühte mich, dass meine Stimme ruhig blieb.
»Es gibt Menschen, die können es nicht vertragen, wenn sie Kontakt mit dem Kreuz hatten. Die drehen durch. Die schreien. Je nachdem, wie tief sie in gewisse Dinge verstrickt sind, drehen sie auch durch, wobei sie als Letztes der Tod ereilt.«
Rooney schwieg. Über diese Eröffnung musste er noch nachdenken. Er strich durch sein Gesicht und flüsterte: »Ich glaube, das ist alles viel zu hoch für mich.«
»Sicher, Wayne, es ist verdammt schwer, Dinge zu akzeptieren, mit denen man sonst nichts zu tun hat.«
»Verdammt, da sagen Sie was!« Er schüttelte mehrmals den Kopf, und stellte sofort danach eine nächste Frage. »Und was machen wir jetzt? Was sollen wir denn tun? Ich – ich weiß mir keinen Rat mehr.«
»Am besten wird es sein, wenn Sie alles uns überlassen. Sie müssen sich leider mit der Rolle des Zuschauers abfinden. Ich weiß, dass dies nicht einfach ist, aber versuchen Sie es. Ich bitte Sie darum.«
Suko stand mir zur Seite, indem er sagte: »John Sinclair hat Recht. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
»Okay.« Rooney gab sich kooperativ. »Ich weiß ja, wer hier die Fachleute sind. Außerdem habe ich Sie selbst geholt. Da muss ich mich auf Sie verlassen…«
»Ja, das müssen Sie wohl«,
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