1470 - Der Wechselbalg
furchtbar. Vor einigen Stunden war er noch draußen, aber auch hier ist die Angst da.«
»Bleiben Sie bei ihm.«
Rooney nickte mir zu. »Was glauben Sie, was ich tun werde. Alles ist anders geworden in dieser verdammten Welt. Ich habe Unwetter bisher immer für normal gehalten…«
»Das sind sie auch.«
»Da denke ich anders, John.«
Es war beinahe rührend, die beiden nebeneinander sitzen zu sehen. Seth hatte seinen Kopf zur Seite gelegt und ihn gegen die Schulter des Kollegen gelehnt. Er brauchte den unmittelbaren Körperkontakt, und dagegen hatte ich nichts.
Trotzdem war und blieb er für mich eine zwielichtige Persönlichkeit. Ich musste immer wieder daran denken, was mit seiner Hand passiert war, als sie Kontakt mit dem Kreuz bekommen hatte. Die weißmagische Kraft hatte ihn zwar nicht vernichtet, wie es bei anderen Geschöpfen schon der Fall gewesen war, aber doch gezeichnet, und ich konnte mir vorstellen, dass er litt. Er hatte von der anderen Seite mehr mitbekommen, als ihm lieb sein konnte. Er war der Wechselbalg. An Stelle eines anderen Kindes, das geraubt wurde, war er in die Wiege gelegt worden. Er war von Menschen erzogen worden, die ihn trotz seines anderen Aussehens nicht weggegeben hatten.
Aber er war zurückgeholt worden und anschließend geflohen, weil er nicht in dieser anderen Sphäre bleiben wollte.
Jetzt holte man ihn wieder zurück.
Es drehte sich also alles um ihn, und es stellte sich mir die Frage, ob wir ihn auch weiterhin schützen sollten. Da dachte ich wirklich ganz pragmatisch. Ich konnte mir nicht vorstellen, wohin mit ihm.
Er war jemand, der nicht in unserer Weit gehörte, aber auch nicht in die andere, wobei ich gedanklich mehr zu ihr tendierte, das stand fest. Ich rechnete damit, dass sie ihn nicht töten wollten. Wenn das so war, war er in der Welt des Metatron besser aufgehoben.
Einer Maxine Wells und ihrem Vogelmädchen Carlotta konnte ich ihn auch nicht aufs Auge drücken. Zudem waren Carlotta und Seth viel zu verschieden.
Was tun?
Erst mal abwarten. Ich blieb in der Nähe des Jungen, während Suko seinen Rundgang machte und im Flur verschwand. Er wollte dort alles im Auge behalten.
Das Unwetter tobte weiter. Aber es gab zwischendurch immer mal kurze Ruhepausen. Nur zum Durchatmen kamen wir nicht. Immer wenn wir dachten, das Unwetter wäre abgeflaut, mischten sich erneute Donnerschläge mit Blitzen und starken Regenströmen.
Und Seths Angst steigerte sich. Er suchte auch keinen Trost bei Rooney mehr. Er drängte sich von ihm weg, schob sogar seinen Stuhl nach hinten und schaute zur Tür.
Bevor Wayne etwas sagen konnte, übernahm ich das Wort. »Was ist mit dir, Junge?«
Seth atmete heftig und keuchend. Er war durcheinander. Das erkannte ich an seinem Blick und auch an den unruhigen Bewegungen. Immer wieder schaute er zu den Fenstern und zur Tür hin.
Ich wollte ihn anfassen, aber er wich mir aus, duckte sich und schüttelte den Kopf.
»Was hast du?«
»Sie sind da!«
»Wer?«
Die Antwort kannte ich schon und bekam sie jetzt bestätigt. »Die Gesichtslosen. Aber nicht nur sie allein. Sie haben ihn mitgebracht. Sie wollen mich holen. Nur mit ihm sind sie richtig stark.«
»Metatron?«
Ich zeigte keine Furcht, weil ich ihn nicht ängstigen wollte. Stattdessen lächelte ich.
»Er wird uns alle töten!«
»Das werden wir abwarten, Junge. Eigentlich habe ich auf ihn gewartet. Ja, so ist es. Ich habe auf ihn gewartet, und ich kann das mit ruhiger Stimme sagen. Es wird nichts passieren. Ich glaube nicht, dass er dich oder mich zu sich holen wird.«
Seth riss den Mund auf. Er wollte mich auslachen. Dazu kam er nicht mehr, denn plötzlich zeigte uns die andere Seite, wozu sie fähig war. Das Geschehen um uns herum änderte sich radikal und mit einem gewaltigen Donnerschlag.
Ein Krachen erfüllte die Luft vor dem Haus, als wären dort ein halbes Dutzend Blitze auf einmal eingeschlagen. Dieser Treffer schaffte es wirklich, die Wände wackeln zu lassen, und wir hatten sogar das Gefühl, als würde die Decke über uns bersten. Wir alle duckten uns unwillkürlich. Aber Donnerschläge sind nicht gefährlich. Sie sind einfach nur laut. Diesem hier folgte eine Orgie aus Blitzen. Wir sahen das helle Netzwerk hinter den Scheiben, als wäre die Natur lebendig geworden.
Und dann war der Sturm da!
Ein Monster!
Ein Tier, das kein Pardon kannte. Das Haus erlebte erneut einen Schlag. Die orkanartige Böschlug mit gewaltiger Kraft gegen die Eingangstür.
Sie hielt dem Druck
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