1474 - Der Schnitter
Wer ist an meiner Seite?«
»Ein guter Freund von mir. Ich würde sagen, dass er mein Meisterstück ist. Mit ihm und meinen beiden Leibwächtern wirst du losfahren. Zu einem bestimmten Ziel. Und dort wirst du erleben, wozu unsere Voodoo-Macht fähig ist.«
»Was soll ich dabei machen?«
»Gar nichts. Einfach nur zuschauen und lernen. Sieh zu und denk daran, wie gut auch du bald sein wirst.«
»Ja, das werde ich tun.«
Sie waren in den letzten Sekunden nicht mehr weitergegangen.
Vor einer Eisentür hielten sie an. Sie reichte vom Fußboden bis zur Decke und bildete das Ende des Korridors. Zu öffnen war die Tür mit einem Hebel, der waagerecht lag und erst nach oben gekantet werden musste, um die Tür öffnen zu können.
»Dahinter ist dein Begleiter, Sandrine.«
Die junge Frau nickte. Unter ihrer Haut spürte sie das Prickeln. Sie wusste sehr genau, dass sie vor einem entscheidenden Schritt in ihrem Leben stand. Möglicherweise sogar vor einem Wendepunkt, und sie war gespannt, was Mama Rosa ihr zeigen wollte.
Mama Rosa fasste den Hebel mit beiden Händen an. Er ließ sich sogar recht leicht in die Höhe drücken. Es war ein leises Zischgeräusch zu hören, als Mama Rosa die Tür aufzog.
»Du kannst hineingehen.«
Das tat Sandrine noch nicht. Sie fror wegen der kühlen Luft, die ihr aus dem Dunkel hervor entgegenwehte. Diese Luft war so anders. Sie kam ihr fester vor und schien sogar einen gewissen Geschmack zu haben. Vielleicht metallisch, jedenfalls künstlich. Vielleicht brauchte die Person, die hier eine Heimat gefunden hatte, die andere Umgebung.
»Dann geh bitte vor.«
»Ins Dunkel?«
»Keine Sorge, es wird bald heller.«
Sandrine vertraute ihr. Sie setzte einen Fuß über die Schwelle, trat hinein in diese wirklich lichtlose Finsternis und kam sich vor wie eine Gefangene. Sie konnte nicht ermessen, wie groß dieser Raum war.
Sie wollte sichergehen und sich umschauen, als erste helle Flecken durch die Dunkelheit huschten. Sie rissen Löcher, drehten sich von links nach rechts, tanzten über den dunklen, glatten Fußboden hinweg, huschten an den Wänden entlang, ließen auch die Decke nicht aus, und berührten mehrmals einen größeren Gegenstand in der Mitte des Raumes, den das Licht dann umtanzte, bevor es zur Ruhe kam und dabei senkrecht von der Decke her auf den einzigen Gegenstand schien, der sich in diesem großen Raum befand.
Sandrine zwinkerte. Sie musste sich erst an das Neue gewöhnen.
Zudem hatte sie damit nicht gerechnet. Ihre Hände zuckten, als wollte sie nach etwas greifen, das nicht zu fassen war.
Wenige Sekunden später war ihre Sicht besser geworden. Kein wanderndes Licht irritierte sie mehr. Es war nur eine Stelle fixiert, und Sandrine konnte nur staunen.
Vor ihr stand ein sehr großes Bassin. Es hatte in der Tat einen gewaltigen Durchmesser, sodass es schon als großer Gartenpool durchgehen konnte. Es war höher als ein Meter, und Sandrine sah auch, dass dieses Bassin nicht leer war. Der Lichtkegel fiel auf eine schwarze, völlig bewegungslose Fläche, über die kein Windhauch strich, der eine Welle hätte erzeugen können.
Mit einer derartigen Entdeckung hatte die junge Frau nicht gerechnet. Obwohl es im Prinzip nur dieses runde Bassin war, hinterließ der Anblick bei ihr einen Schauer.
Durch das Licht war die Fläche nicht mehr so dunkel. Man konnte sie allerdings auch nicht als hell bezeichnen, denn die dunkle Flüssigkeit schien einen großen Teil der Helligkeit zu schlucken.
Hinter Sandrine entstand ein Geräusch. Mama Rosa kam zu ihr, und darüber war sie froh.
»Was ist das?« flüsterte sie. In einer Umgebung wie dieser traute sie sich nicht, laut oder normal zu sprechen.
»Es ist das Wasser des Lebens!«
»Bitte?«
»Ja. Es ist eine bestimmte Füllmenge, die nötig ist, um den Tod zu überwinden. Sehr reines Wasser, sehr klares, aber auch ein sehr dunkles. Wasser, das hilft, regenerieren zu können. Das alles ist für uns sehr wichtig.« Mama Rosa legte ihrem Schützling eine Hand auf die linke Schulter. »Du hast davon noch nichts gehört?«
»Nein.«
»Für viele von uns ist es lebenswichtig. Wir baden darin und holen uns die Reinheit, die wir brauchen. Es ist ein Wasser, das Tote lebendig hält. Du wirst es selbst bald erleben.«
»Soll ich hinein?«
Mama Rosa konnte sich das Lachen nicht verkneifen. »Nein, das brauchst du nicht. Deine Frage war zwar normal, aber für dich ist die Zeit noch nicht gekommen. Später wirst du dir wünschen, in das
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