1474 - Der Schnitter
die Augen. »Okay, ich erzähle Ihnen jetzt die ganze Geschichte, wie ich dazu gekommen bin. Sie klingt zwar leicht unglaublich, aber sie ist wahr.«
Voltaire lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Okay, ich höre.«
Danach konnte er wirklich nur zuhören, als ich ihm alles vom Beginn an offenlegte.
In seinem Gesicht bewegte sich nichts, abgesehen von den dünnen Rinnsalen aus Schweiß, die durch die Falten der Haut rannen.
Manchmal schüttelte er auch den Kopf, und er notierte sich die Namen Mama Rosa und Sandrine Perrot.
»Das ist ja ein Hammer«, flüsterte er.
»Und die Wahrheit.«
Er grinste schief. »Für mich ist es schwer, diese Wahrheit zu akzeptieren, da bin ich ehrlich. Hier hat etwas in das normale Leben eingegriffen, das ich so kaum glauben kann. Aber ich vertraue Ihnen, John. Sie sind keiner, der Märchen erzählt.«
Das war ich nun wirklich nicht und wollte wissen, ob ihm der Name Mama Rosa bekannt war.
Voltaire schüttelte den Kopf. »Nein, nie gehört. Aber ich gehe davon aus, dass dies in anderen Kreisen der Fall ist, eben in den Bezirken, in denen die Schwarzen wohnen. Und diese Leute halten in der Regel zusammen. Auch wenn sie sich auf ihrem eigenen Kontinent noch so streiten, wer hier in Paris in den entsprechenden Arrondissements lebt, der hat sich entsprechend einzufügen.«
»Wie sieht es mit Ihren Leuten aus? Schaffen die es, in die Szene hineinzukommen?«
»Keine Ahnung, wirklich nicht. Da bin ich überfragt. Ich hatte damit noch nicht zu tun.«
»Ab jetzt haben Sie es.«
»Das fürchte ich auch. Aber ich werde nicht allein sein, denke ich mal. Oder…«
»Kein Oder. Ich bin gekommen, um mitzumischen. Wie offiziell das alles ist, kann ich Ihnen nicht sagen, aber es ist bereits auf einer höheren Ebene kommuniziert worden.«
»Das hörte ich auch.« Voltaire nahm einen Kugelschreiber in die Hand und klickte mit dem Druckkopf einige Male hin und her. Er dachte noch über den Fall nach und rückte plötzlich mit der Sprache heraus, denn ein Thema beschäftigte ihn.
»Ihre deutschen Freunde, die Sie erwähnten, sind mit nach Paris gekommen?«
»Das sind sie.«
»Eine Frau und ein Mann?«
Ich nannte ihm die Namen.
Danach fing er wieder an zu grinsen. »Und weiter?« fragte er.
»Sind es einfach nur Freunde oder gehören sie auch zu uns?«
Jetzt hatte er mich in der Zwickmühle. Dagmar Hansen und Harry Stahl arbeiteten für einen deutschen Dienst. Ob man ihn als geheim ansehen wollte oder nicht, das spielte in diesem Fall keine Rolle. Ich wusste nicht, wie weit ich bei Jean Voltaire gehen konnte, und gab eine Antwort, die alles und nichts sagte.
»Im weitesten Sinne schon.«
»Aha.« Er klopfte mit dem Kugelschreiber auf den Tisch. »Aber keine Polizei direkt?«
»Genau.«
»Gut hört sich das nicht an.«
»Ich weiß, Jean, aber ich kann es nicht ändern, das müssen Sie mir glauben. Nur kann man sich auf die beiden verlassen, sonst wären sie nicht meine Freunde. Sie wollten im Süden einfach nur Urlaub machen, und da kam ihnen dieser Voodoo-Zauber dazwischen, von dem ich Ihnen erzählt habe. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, so leid es mir tut.«
»Können Sie schon, Sie wollen nur nicht.«
Ich stellte ihm eine Frage. »Ist der Schnitter nicht wichtiger?«
»Da haben Sie recht.«
»Deshalb sollten wir uns auf ihn konzentrieren.«
»Schon verstanden, John. Nur möchte ich durch diese beiden keinen Ärger haben.«
»Keine Sorge.«
Er winkte lässig ab und rückte den Laptop so hin, dass er auf den Bildschirm schauen konnte. »Da wollen wir mal sehen, was wir über Mama Rosa finden.«
»Tun Sie das bitte.«
»Haben Sie sonst noch Angaben, die man einsetzen könnte?«
»Lassen Sie es mal dabei.«
»Ich dachte an Voodoo.«
»Noch nicht.«
»Also gut. Mama Rosa.«
Ich schaute auf die Rückseite des Deckels und sah deshalb nicht, was er tat.
Dafür hörte ich das leise Klicken der Tasten, und er winkte mir von der Seite her zu.
»Ich hab’s, John.«
»Und was haben Sie?«
»Mama Rosa ist im Internet zu finden. Als eine Frau, die Probleme auf ihre Art und Weise löst.«
»Wie sieht das aus?«
»Schauen Sie selbst.«
Ich trat hinter den Kollegen und beugte mich vor. Die Seite, die Voltaire aufgerufen hatte, mussten wir auf dem PC von Monsieur Noir übersehen haben. Auf dem Bildschirm war Mama Rosa zu sehen. Allerdings nicht in voller Größe. Nur ihr Kopf und die Brust waren vorhanden. Bei ihr konnte man schon von einem mächtigen
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