1477 - Das steinerne Grauen
sie die Tiere beherrscht.«
»Ja, das habe ich bei der Dogge bemerkt.«
»Hast du denn einen Plan, wohin du willst?«
»Noch immer zu diesem Bau, wo wir das Licht hinter dem Fenster gesehen haben.«
»Okay.« Carlotta lächelte mich an. »Viel Spaß«, sagte sie und stieg wieder in die Luft.
»Du hast es gut«, murmelte ich nur und winkte ihr nach…
***
Maxine sprach Jolanda Gray an. »Es tut mir leid, aber ich habe nichts gehört und nichts gesehen.«
Jolanda Gray schloss die Tür. »Geh mal davon aus, dass die Hunde besser sind als wir.«
»Das muss ich wohl.«
»Immer, Maxine, und ich kann dir sagen, dass ich sie mehr liebe als die Menschen.«
Die Tierärztin grinste säuerlich. »Ich weiß, solche Menschen soll es geben.«
Jolanda lehnte sich mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür, als wollte sie demonstrieren, dass es keine Fluchtmöglichkeit für Maxine gab.
»Ich bin mir nicht sicher, Frau Doktor, aber ich könnte mir vorstellen, dass du mehr weißt.«
»Worüber?«
»Über die für uns unsichtbaren Besucher. Ich habe gespürt, dass meine Hunde Menschen gewittert haben, und ich weiß verdammt genau, dass sich in dieses Gebiet nur wenige Menschen verirren – wenn überhaupt. Wochenlang kann man hier allein sein, abgesehen von Ernie, einem Penner, der hier am liebsten seinen Rausch ausschläft. Er ist jedoch harmlos. Deshalb ist mir ein bestimmter Gedanke gekommen, der nicht mal abwegig ist. Kann es nicht sein, dass meine Hunde etwas Fremdes gerochen haben, das dir aber nicht fremd sein dürfte, um bei dem Vergleich zu bleiben.«
»Wieso das?«
»Tu nicht so. Ich glaube dir kein Wort. Ich kann nachdenken. Du lebst nicht allein, das weiß ich. Ja, ich weiß einiges über dich und hätte dich irgendwann sowieso kontaktiert, wenn diese Ellen nicht dazwischengekommen wäre. Und die Kleine, die bei dir lebt, wird dich vermisst haben. Deshalb ist es gut möglich, dass man dich sucht.«
Maxine lachte, und sie hoffte, dass es sich auch ehrlich genug anhörte.
»Was ist daran so lustig?«
»Ihre Folgerung.«
»Ach – du glaubst nicht daran, dass man dich sucht?«
»Ich weiß es nicht, aber ich hätte nichts dagegen. Sie wissen genau, dass dies hier nicht meine Welt ist. Ganz und gar nicht. Ich rate Ihnen ebenfalls, einen anderen Weg einzuschlagen. Sie können ja weiterhin mit Ihren Tieren sprechen, dagegen hat wohl niemand etwas. Nur nicht auf diese Art und Weise.«
»Wie schön, Frau Doktor, wie schön. Nur bist du nicht die Person, von der ich Ratschläge annehme.« Jolanda beugte ihren Oberkörper vor wie ein hungriges Raubtier. »Wer immer sich hier herumtreibt, die Hunde werden ihn zerbeißen, denn sie haben von mir den Befehl dazu bekommen. Vergiss nie, dass es eine Verbindung zwischen uns gibt.«
»Dann sind Sie indirekt eine Mörderin.«
»Na und? Was macht das schon? Tiere sind mir wichtiger als Menschen. Wie oft soll ich das noch wiederholen?«
»Ja«, sagte Maxine. »Tiere sind wichtig. Aber sie sind nicht wichtiger als Menschen, das sollten Sie sich auf die Fahne schreiben. Der Mensch ist und bleibt das höchste Wesen…«
»Ohhhh…« Jolanda jaulte die Antwort hervor. »Ich zerfließe gleich vor Schmalz.«
»Ist nicht nötig, ich habe Ihnen nur einige Wahrheiten gesagt. Das war mal nötig.«
»Unsinn. Es gibt eine andere Wahrheit, die für uns wichtiger ist. Und die befindet sich draußen.«
»Kann sein.« Maxine lächelte. »Ich an Ihrer Stelle würde mal nachschauen.«
»Ah – und dich allein lassen?«
»Könnte ich denn fliehen? Ich würde doch den Hunden vor die Schnauzen laufen.«
Jolanda wartete eine Weile mit der Antwort. Dann sagte sie: »Dein Schicksal ist auf jeden Fall besiegelt. Ich habe mich entschlossen und kann nicht mehr zurück. Ich will es auch nicht, und du wirst die Konsequenz erleben, wenn wir gemeinsam die Leichen wegschaffen oder vergraben, die meine Freunde hinterlassen haben.«
Es war Maxine klar, dass Jolanda Gray die Worte nicht nur einfach so dahingesagt hatte. Sie glaubte fest an sich und ihre Botschaft. Sie hatte sich ein Weltbild erschaffen, in dem an erster Stelle die Tiere standen und danach erst die Menschen kamen. Diejenigen, die nicht mitmachten und ihr dabei im Weg standen, mussten entweder weichen oder würden ihr Leben verlieren, denn dafür hatte sie die perfekten Vollstrecker.
Jolanda sah, dass ihre Gefangene überlegte. Das Gesagte war nicht so leicht zu verkraften, und so spürte Jolanda ein Gefühl des Triumphs in sich
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