148 - Operation Harmagedon
vierundzwanzig Stunden angekündigt.«
Mit einer Kopfbewegung wies der Prime von Salisbury auf den Monitor, durch dessen Fußleiste die Zeitangaben von einem Dutzend Zeitzonen glitten. »Das ist sechzehn Stunden her.«
»In acht Stunden also…«
***
26,35 Kilometer über dem Golf von Mexiko, Anfang Oktober 2521
Er wartete.
Runde um Runde zog er durch den kalten Himmel und wartete. Wenn die Wolken aufrissen, sah Thgáan den großen Gebirgszug tief unter sich, sah die Landbrücke, auf der die Südspitze der Berge in die Ebene überging, sah die beiden großen Halbinseln und die vielen großen und kleinen Inseln im Osten. Wie eine Landbarriere schirmten sie die runde Bucht vor dem offenen Meer ab. Schon zwölf Mal war die Sonne aufgegangen, seit er über ihr und dem Gebirge und den Halbinseln kreiste, und elf Mal war sie untergegangen.
Manchmal erwachte erneut der Wusch zu wählen in ihm, und mit diesem Wunsch die Vorstellung von Algenfeldern, Fischschwärmen und Seegraswäldern in einem warmen Ozean.
Dann rief er sich jedes Mal den Auftrag des Herren in Erinnerung – Dort kreise in sehr großer Höhe und warte… –
und bot ihn gegen seine heimliche Sehnsucht auf.
Früher hatte Thgáan, der letzte Lesh'iye, keine Sehnsucht gekannt. Auch keine Ungeduld und keinen Zweifel. Doch seit das Schweigen seiner Herren ihn in Ängste gestürzt hatte, seit er wählen konnte, kannte er auch die Sehnsucht.
Er nahm sich vor, noch sieben Sonnenaufgänge abzuwarten.
Wenn er bis dahin nicht erneut die Stimme eines seiner Herren vernommen hatte, würde er abdrehen und Kurs auf den warmen Ozean im Westen nehmen. Bis dahin aber wollte er weiterhin hier oben Runde um Runde durch den kalten Himmel ziehen.
Und warten…
***
Amarillo, Anfang Oktober 2521
»02:59, 02:58, 02:57…«
Captain Ahab spulte den Countdown herunter. Matthew Drax hörte es mit einem Ohr, mit dem anderen lauschte er der zweiten Stimme aus dem Helmfunk. »Druckanzeigen«, sagte Naoki, oder »Außenluken«, oder »Triebwerkstemperatur.« Er bestätigte jedes Mal mit einem knappen Okay, nachdem er einen routinierten Blick auf die entsprechenden Kontrollinstrumente geworfen hatte. So ging das schon seit fünfzehn Minuten.
Und dann war da noch ein anderes, verborgenes Ohr oder Auge seines Bewusstseins, ein Sinnesorgan jedenfalls, das ihm nicht jederzeit zur Verfügung stand. Jetzt aber, während Captain Ahab den Countdown herunterzählte und Naoki Tsuyoshi die technischen Parameter der Queen Victoria abfragte, jetzt richtete sich dieses innere Auge auf das Labyrinth seines Gedächtnisses, und viele Jahre alte Eindrücke flogen im Hintergrund seines Bewusstseins vorbei: Starts zu Übungsflügen von der Andrew Air Force Base bei Washington, Gespräche mit seinem Vater über dessen einzige Notlandung während seiner Pilotenlaufbahn, sein eigener Start zur Beobachtung des Kometenbeschusses im Februar des Jahres 2012, sein erster Start mit der Queen Victoria vor fast vier Jahren, Aruula und ihre Angst vor der Reise in den Orbit…
»02:03, 02:02«, schnarrte es aus dem akustischen Modul des Bordrechners, und Naoki erkundigte sich mit unerbittlich sachlicher Stimme nach seinem Hüftgurt, seinem Schultergurt, seinem Sauerstoffanschluss und dergleichen.
Ähnlich mechanisch, wie Captain Ahab den Countdown weiter herunterleierte, bestätigte Drax, und so geistesgegenwärtig er die Anzeigen der Kontrollinstrumente auch wahrnahm, seine Gefühle entzündeten sich währenddessen an längst Vergangenem: An Aruulas Angst vor dem Flug zur ISS damals, an ihre wilde Entschlossenheit, ihn dennoch zu begleiten, an den Duft ihrer Haut bei ihrem letzten Sex vor zwei Wochen, an ihre flehentlichen Bitten, diesmal nicht zu fliegen, an ihre Wut und ihr Entsetzen, als er sich nicht erweichen ließ…
»01:35, 01:34, 01:33…«
Die Triebwerke brummten längst, Captain Ahab war nicht mehr aufzuhalten, und der Mann aus der Vergangenheit dachte an die Frau, die vergeblich versucht hatte, ihn aufzuhalten. »Ich liebe dich, Aruula«, murmelte er, »bitte verzeih mir, ich liebe dich…«
»Kommunikationstechnik?«, fragte Naoki.
»Keine Störung.«
»Innentemperatur des Überlebenssystems?«
»Zweiundzwanzig Grad Celsius.«
Damals hatte Aruula auch so einen isolierten und temperaturgeregelten Raumanzuges getragen wie er und Naoki jetzt. Ihr Schwert, ihr Lendenschurz, ihr Fellmantel und ihre Stiefel waren in der Ladebucht verstaut worden. Inzwischen hatten sie das Shuttle
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