1486 - Im Tempel der Furcht
sich mit dem Niederschlag zufrieden geben würde. Da würde noch mehr passieren, das stand für mich fest.
Ich lag weiterhin auf dem kalten Boden und war froh, dass mein Gehör trotz des Treffers nahe am Ohr nicht gelitten hatte. So fiel mir auf, dass es nicht still in meiner Nähe war. Es gab Geräusche, und deren Ursache wollte ich herausfinden.
Nur nichts überstürzen. Wenn ich mich bewegte, dann mehr als langsam. Behutsam hob ich den Kopf an, was mir eine erneute Schmerzwelle einbrachte. Ich presste die Lippen hart zusammen, um einen Stöhnlaut zu unterdrücken.
Ich schaute gegen den Rücken von Rosy Keller. Sie hielt den Stein, mit dem sie mich niedergeschlagen hatte, in der rechten Hand. Obwohl mein Blick noch eingetrübt war, sah ich die dunklen Flecken am hellen Gestein, die mein Blut hinterlassen hatten.
Wo schaute sie hin? Und warum hatte sie mich niedergeschlagen?
Diese zweite Frage beschäftigte mich mehr als die erste. Trotz der Schmerzen im Kopf versuchte ich meine Gedanken in Bewegung zu bringen und eine Antwort auf diese Frage zu finden.
Warum?
Sie musste in der Zwischenzeit einen anderen Weg eingeschlagen haben. Und das war sicherlich nicht freiwillig geschehen. Ich erinnerte mich an den Augenblick, als ich vor dem Niederschlag ihr Arbeitszimmer betreten hatte. Es war eine wirklich nur sehr kurze Zeitspanne gewesen, und trotzdem hatte sich das Bild in mein Gedächtnis eingebrannt.
Der Stuhl – er war besetzt gewesen!
Viel hatte ich von der Gestalt nicht gesehen. Man konnte es mehr als eine Momentaufnahme bezeichnen.
Ich hatte ihn gesehen!
Den Duke of Kent, dessen Beschreibung ich von Rosy Keller und Constabler Nichols kannte!
Er war hier. Er hatte sich eingeschlichen, und er hatte Rosy Keller nicht getötet.
Da gab es nur eine Erklärung. Rosy hatte sich auf seine Seite gestellt oder war auf die andere Seite gezogen worden, wie auch immer. Deshalb hatte es der Archäologin auch nichts ausgemacht, mich niederzuschlagen.
Okay, das konnte ich nicht mehr rückgängig machen. Aber Rosy war kein Profi, denn wäre sie das gewesen, dann hätte sie anders reagiert und mich nach Waffen durchsucht.
Das hatte sie nicht getan. Die Beretta steckte noch dort, wo sie stecken musste, und auch der Druck des Kreuzes an meiner Brust war noch vorhanden. Ich erlebte auch die leichten Wärmestöße, die es permanent abgab, und erhielt wieder so etwas wie ein neues Vertrauen in meinen Talisman, denn noch war ich nicht aus dem Spiel.
Rosy Keller kümmerte sich um mich nicht. Sie war sich ihrer Sache sehr sicher, und das Wichtigste in ihrem Leben war jetzt einzig und allein ihr neuer Mentor.
Sie schaute ihn an. Ich hörte sie auch reden, aber sie sprach zu leise, um von mir verstanden zu werden. Zudem war ich über die Ablenkung froh. So konnte ich mich mit mir selbst beschäftigen, ohne dass es der anderen Seite auffiel.
Zwangsläufig musste ich sehr ruhig liegen bleiben. Wäre ich Suko gewesen und hätte eine andere Mentalität besessen, hätte ich mit den Folgen des Treffers besser umgehen können. Aber ich hatte keine Erziehung im Kloster hinter mir und musste mich auf die normalen Fähigkeiten eines Menschen verlassen.
Ich tastete nach der Beule an meiner rechten Kopfseite. Die Wunde blutete nicht weiter. Ich war auch vom Gehör so fit, dass ich jetzt verstand, was gesagt wurde.
»Bist du zufrieden?« fragte Rosy.
»Ja, das bin ich. Aber ich möchte, dass du mich mit Sir Baldur anredest.«
»Entschuldigen Sie!«
»Schon gut.«
Ich hatte alles gehört und nun den endgültigen Beweis dafür bekommen, dass die Gestalt auf dem Stuhl Sir Baldur Wainright war, der Duke of Kent, der es tatsächlich geschafft hatte, zu überleben.
Es war verrückt, es war ein magisches Phänomen, bei dem die Hölle ihre Hand im Spiel hatte.
Ich hob den Blick wieder an. Das Bild hatte sich nicht verändert.
Weiterhin präsentierte mir Rosy Keller ihren Rücken. Sie hatte eine demütige Haltung eingenommen. Sie wusste genau, was sie ihrem neuen Herrn schuldig war.
»Hast du ihn erschlagen?« fragte die Stimme, die sich so rau und kalt anhörte.
»Ich glaube nicht.«
»Gut, dann werde ich ihn mitnehmen. Ihn und dich.«
»Wohin?«
»In den Tempel der Furcht. Er hat an dieser Stelle gestanden. Es ist mein Haus gewesen, mein Pavillon. Ich habe ihn mal Tempel der Lust und mal Tempel der Furcht genannt, je nach dem, wie weit ich mit meinen Spielen gediehen war. Für Sinclair wird der Tempel der Furcht zum ewigen
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