1487 - Die Dämonen-Prinzessin
mich wieder ein. »Was hast du ihr denn versprochen?« flüsterte ich.
»Dass ich in ihrem Märchen bin. Ich, verstehst du? Ich allein bin in ihrem Märchen.«
Hätte ein anderer Mensch das gehört, er hätte wahrscheinlich gelacht. Ich dachte anders darüber, weil ich schon zu viel erlebt hatte.
So konnte das Unglaubliche oft zu einer Tatsache werden, und der normale Mensch stand davor und schüttelte nur den Kopf.
»Gerrit!« rief ich.
Unwillig schüttelte er den Kopf. »Störe mich nicht!«
Jetzt meldete sich auch Lena Quinn. »Bitte, Gerrit, du musst auf Mr. Sinclair hören. Er meint es nur gut mit dir!«
»Nein, ich gehöre zu ihr!«
Lena wollte noch etwas sagen, aber ich winkte ab. Es war jetzt meine Sache, mich um ihren Sohn zu kümmern, und das musste schnell gehen, denn Gerrit schrak plötzlich zusammen, weil er etwas Bestimmtes gesehen hatte.
Ich schaute ebenfalls hin – und sah die Frau!
***
Es war der Augenblick einer bestimmten Erkenntnis, der mich fast aus den Schuhen haute. Hatte Gerrit nicht von einer Prinzessin gesprochen, die er so verehrte?
Wer dieses Wesen oder diese Gestalt sah, der musste einfach davon ausgehen, dass es eben diese Prinzessin war. Dieses Märchenwesen, von dem viele Kinder träumen.
Ob sie weit entfernt oder nahe war, das ließ sich nicht feststellen.
Sie war vorhanden, aber sie schwebte irgendwo im Nirgendwo, und sie schien aus einem Feuerschein gestiegen zu sein, der sie nach wie vor wie ein Mantel umgab und eine rotbraune Farbe aufwies.
Schwarze Haare, lang und wild wachsend. Hinzu kam der glatte Frauenkörper, der nicht unbedingt durch ein Kleidungsstück verdeckt war. Sie trug sehr wenig am Leib. Ein Ober- und ein Unterteil, und sie hatte die Arme angehoben und nach den Seiten hin ausgestreckt, als wollte sie zu einem Flug abheben.
Ich sah allerdings auch, dass die Arme mit den beiden Seiten eines Capes oder Umhangs verbunden waren, der fast bis zum Boden reichte. So stand sie da und erinnerte mich an eine Person, die auf etwas wartete.
Aber auf wen?
Es gab eigentlich nur den Jungen, der sie nach wie vor anschaute.
Dabei hatte sich sein Mund zu einem Lächeln verzogen. Er war jemand, der sich freute und seine Freude auch zeigte, indem er dieser Person beide Hände entgegenstreckte.
Ich wusste selbst nicht zu sagen, wie lange ich diese Prinzessin schon betrachtet hatte, aber ich merkte, dass die Wärme auf meinem Kreuz nicht verschwand.
Es gab nur die eine Erklärung für mich. Diese Prinzessin war jemand, die etwas Böses vorhatte. Sie war keineswegs die liebe Frau aus dem Märchen, die Kinder mochte.
Und Gerrit?
Er stand plötzlich auf. Ich sah es, aber ich handelte noch nicht, weil seine Bewegungen sehr langsam waren. Ich sah keinen Grund dafür, und das war ein Fehler, was ich allerdings erst später erfuhr.
Abgelenkt wurde ich durch Lena Quinn, die endlich aus ihrer Erstarrung erwachte, den Kopf heftig schüttelte und mich von der Seite her mit schriller Stimme ansprach.
»Das ist doch nicht normal, verdammt! Sie müssen etwas unternehmen! Bitte, Mr. Sinclair, tun Sie was! Diese Frau ist schrecklich. Ich – ich – will sie nicht mehr sehen.«
Ich wollte ihr eine Antwort geben und hatte mich schon umgedreht, als ich den Ruf vernahm.
»Ophelia!«
Der Junge!
Es war eine Warnung, und ich fuhr wieder herum. Dabei sah ich etwas Unwahrscheinliches und musste zugleich zugeben, dass ich zu spät kam. Er befand sich bereits auf dem Weg. Er hatte sich von seinem Bett abgestoßen und sprang der Prinzessin entgegen.
Eigentlich hätte er gegen die Wand seines Zimmers prallen müssen. Genau das trat nicht ein. Denn da war plötzlich die Prinzessin, die ihn auffing.
Wir konnten es als Zuschauer kaum fassen. Und selbst ich handelte viel zu spät.
Gerrit hatte sich in die Arme der Prinzessin geworfen und war mit ihr verschwunden.
Es war nur noch das normale Zimmer vorhanden. Kein Feuer, keine dämonischen Gestalten an den Wänden. Dafür eine mit Papierfiguren beklebte Tapete und ein leeres Bett.
Der Spuk war vorbei!
Es gab keinen Jungen mehr. Die Normalität war zurückgekehrt, und es standen zwei Personen in dem Zimmer, die sich anschauten, aber zunächst kein Wort hervorbrachten.
Lena Quinn bewegte sich als Erste. Sie ging mit steifen Schritten auf das Bett ihres Sohnes zu, blieb daneben stehen und schaute es an wie einen Fremdkörper.
Dabei sprach sie mit einer Flüsterstimme, die kaum zu verstehen war. Sie weinte, setzte sich auf das Bett,
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