1489 - Die Männerfalle
beherrschte die Frau, obwohl sie nicht glauben konnte, was sie sah. Das war einfach zu viel für sie. So etwas erlebte kein normaler Mensch.
Ich spinne! Ich bin übergeschnappt! Meine Gedanken drehen durch…
Sie wusste selbst nicht mehr, was sie noch denken sollte. Sie wollte es nicht wahrhaben, aber sie unterlag auch keinem Irrtum. Diese Gestalt, die aus rötlichen Augen durch die Scheibe in ihr Zimmer glotzte, gab es tatsächlich.
Sie stöhnte auf, als läge eine gewaltige Last auf ihren Schultern.
Die Knie wurden ihr weich, und sie hatte das Gefühl, sich nicht länger auf den Beinen halten zu können.
Noch war nichts geschehen. Es herrschte eine nahezu unnatürliche Ruhe, und auch die graue Frau mit ihren spitzen Zähnen meldete sich nicht. Sie sagte nichts. Es gab keine Bewegung des Mundes, aber sie schob ihre Hände vor, die sie zu Krallen geformt hatte, und die Spitzen der Fingernägel begannen, über die Scheibe zu kratzen.
Das Geräusch schockte Evelyn förmlich.
Das war wie ein brutaler Schlag in den Magen und gegen ihren Kopf zugleich. Es fiel ihr schwer, normal zu bleiben, denn die verdammte Scheibe drehte sich zusammen mit der Gestalt vor ihren Augen. Ein kaltes Gesicht, dessen Haut so starr war und keine Falten zeigte, höchstes helle Flecken auf den Wangen.
Noch immer kratzten die Nägel. Es war wie eine Botschaft, aber zum Glück drückten die Hände die Scheibe nicht ein. Sie schienen nicht vorzuhaben, das Glas zu zerstören, sie malten nur Figuren darauf. Doch plötzlich zog sich die Gestalt wieder zurück. Dabei wusste Evelyn Gubo nicht, ob Sekunden oder Minuten vergangen waren.
Zu lange konnte und wollte sie nicht hinstarren und musste sich schon einen heftigen Ruck geben, um sich von der Scheibe zu entfernen. Sie hielt dabei eine Hand gegen ihren ebenfalls offenen Mund gedrückt und atmete nur durch die Nase.
Als sie einen Sessel an den Rückseiten der Beine spürte, wurde sie gestoppt. Sie nahm auf einer der beiden Lehnen Platz.
Jetzt konnte sie das Zittern nicht mehr unterdrücken, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie spürte die Spitzen der Fingernägel in ihrem Fleisch und hatte sogar den Eindruck, dass Blut aus winzigen Wunden quoll.
Ihr war kalt. Sie hatte das Gefühl, als wäre die Heizung im Haus ausgefallen. Plötzlich klapperten ihre Zähne aufeinander, weil sie von einem Schüttelfrost gepackt wurde. Der Whisky bewegte sich im Glas und schwappte hoch bis zum Rand.
Evelyn schloss die Augen. Sie wollte nichts mehr sehen. Am liebsten auch nichts hören. Sie war fertig mit der Welt und tat auch nichts dagegen, dass sie zur Seite hin in den Sessel kippte. Wie eine Puppe blieb sie dort liegen, aber die Haltung war zu unbequem, und bald quälte sich die Frau wieder hoch.
Ihr erster Blick galt dem Fenster!
Die Gestalt war weg. Nichts mehr war von ihr zu sehen. Kein Umriss und kein Schatten malte sich ab. Der Garten war wieder frei, und so brauchte sie keine Furcht mehr zu haben.
Aus ihrem Mund drang plötzlich ein hartes Lachen, obwohl sie es nicht wollte. Das Lachen musste einfach sein, sie hörte es als Echos in ihrem Kopf zurückschallen. Sie lief zum Fenster und schlug mit den flachen Händen gegen das Glas. Ihr Entsetzen musste sich einfach freie Bahn verschaffen. Es war alles grausam genug gewesen, und sie sah ihren normalen Alltag zerstört.
»Hau ab!« schrie sie gegen die Scheibe und schlug wieder dagegen. »Hau ab und komm nicht mehr wieder.«
Dann taumelte sie zurück und warf sich auf die Couch. Nur Sekunden später fing sie an, hemmungslos zu weinen…
***
Ja, wir waren mal wieder pünktlich im Büro, aber nicht die Ersten, denn als ich die Tür öffnete, wehte uns bereits der Duft des frisch gekochten Kaffees entgegen.
»Wir schaffen es nie«, sagte Suko.
»Was?«
»Vor Glenda da zu sein.«
»Tja, sie sieht das Vorzimmer mehr als ihr Wohnzimmer an, und der Virus hat sie wohl auch verlassen.« Das sagte ich bewusst, denn in den letzten beiden Tagen war es Glenda Perkins relativ schlecht gegangen.
Den Kaffeeduft erschnupperten wir, nur die Köchin sahen wir nicht. Weder im Vorzimmer noch in unserem Büro, und so bediente ich mich zunächst mal.
Suko hatte ich trotz der vielen Jahre, in denen wir zusammenarbeiteten, bisher nicht dazu bringen können, von Glendas köstlichem Kaffee zu trinken. Er genoss nach dem Aufstehen den von Shao perfekt zubereiteten Tee.
Ich blieb bei dem brauen Gebräu und nahm die gut gefüllte Tasse mit in unser
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