1489 - Die Männerfalle
Sogar unmöglich. Die Opfer von Kneipenschlägereien sahen anders aus.
Evelyn ging ins Bad und schaute sich im Spiegel an. Sie hatte das Gefühl, eine völlig andere Person zu sein, obwohl es ihr Gesicht war, in das sie blickte. Tiefe Schatten lagen unter den Augen, die Ringe bildeten. Das blonde Haar, das glatt zu beiden Seiten des Kopfes nach unten wuchs, zeigte einen leicht rötlichen Schimmer in der blonden Grundfarbe, aber es war nicht mit dem zu vergleichen, was ihr Bruder auf seinem Kopf trug.
Sie wusch ihr Gesicht, trocknete sich ab und spürte einen kratzigen Druck im Magen, als hätte sie einen Igel mitsamt seinen Stacheln verschluckt. Sie wollte den Druck wegbekommen und ging im Wohnzimmer auf einen schmalen Glasschrank zu, der nur in der Mitte ein geschlossenes Fach hatte, dessen Vorderseite sie aufzog.
Einige Flaschen mit harten Getränken befanden sich darin. Gläser standen auch darin, und wenn sie mal einen harten Drink nahm, dann entschied sie sich in der Regel für einen Whisky. Den goss sie sich auch jetzt ein. Durch die zittrige Hand wurde es ein Doppelter, aber sie kippte nicht die Hälfte davon weg.
Mit dem Glas ging sie durch den Wohnraum. Es brannte nur eine Stehleuchte, ein Erbstück ihrer Eltern. Die Lampe hatte noch einen großen Glockenschirm aus gelblichem Pergament, und sie verteilte ihr Licht nur in einem bestimmten Umkreis.
Die vierzigjährige Frau trug bequeme Kleidung. Einen schwarzen Jogginganzug mit roten Streifen an den Seiten.
Evelyn setzte sich in den zweiten Sessel. Er stand so, dass sie durch das Fenster schauen konnte. Dahinter befand sich ein kleiner Garten. Durch eine Mauer war er von der Straße getrennt. Das Grundstück war nicht eben groß. Sie hatte den hinteren Teil stets als eine Tischtennisplatte bezeichnet, auf der Pflanzen und Gras wuchsen.
Nachdenklich blickte sie in den Garten. Er lag eingetaucht in der Dunkelheit. Es gab auch keine Lampe oder Laterne ihren Schein ab.
Nur vom Nachbarn an der rechten Seite fiel ein schwaches Licht bis in ihren Garten.
Sie trank den Whisky in kleinen Schlucken, und ihre Gedanken drehten sich dabei um Eric.
Was war ihm widerfahren? Wer hatte ihn so zugerichtet? War es überhaupt ein Mensch gewesen oder war er vielleicht von einem wilden Tier überfallen worden?
Sie konnte sich selbst keine Antwort geben und musste sich dabei auf die Polizisten verlassen, die fragen würden. Vielleicht erhielten sie auch Antworten, die sie ihr dann mitteilen würden.
Aber warum, zum Teufel, wollte ihr das Wort Vampir nicht mehr aus dem Kopf gehen?
Die Antwort konnte sie sich nicht geben. Alles war zu abstrakt für sie. Vampire waren erfundene Wesen. Okay, sie hinterließen Bisswunden, aber die konnten auch von irgendwelchen Tieren oder sogar Waffen stammen.
Wie dem auch sei, sie fand keine Erklärung und setzte erneut das Glas an die Lippen, das sie bereits zur Hälfte leer getrunken hatte.
Dabei schaute sie wieder nach vorn, blickte durch die Scheibe in den Garten und schrak so heftig zusammen, dass ihr das Glas beinahe aus der Hand gerutscht wäre. Im letzten Moment hielt sie es noch fest.
Was war das?
Sie sah den Garten nicht mehr leer. Dort bewegte sich jemand, und sie sah, dass es sich dabei um eine hoch gewachsene Gestalt handelte, die durch den Garten schlich.
Oder war es eine Täuschung?
Evelyn Gubo zweifelte plötzlich an ihrem eigenen Wahrnehmungsvermögen. Sie wollte allerdings Klarheit haben und stemmte sich behutsam aus dem Sessel in die Höhe.
War da jemand oder nicht?
Sie schlich näher. Ihr Atem ging nicht mehr normal, sondern recht hektisch. Ihr Blick war starr nach vorn gerichtet, und jeder Herzschlag hinterließ bei ihr ein Zucken.
Um besser in den Garten schauen zu können, musste sie bis dicht vor die Scheibe gehen. Dazu kam sie nicht mehr, denn die andere Seite war schneller als sie.
Jemand lief auf das Fenster zu. Eine graue Person, eine Schattenfrau mit einem ebenfalls grauen Gesicht, das sie plötzlich gegen die Scheibe drückte, als sie direkt davor stand.
Evelyn wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Das Gesicht war da, der Körper auch, aber sie sah nur das Gesicht, denn aus dem Grau hob sich etwas hervor.
Rötlich schimmernde Augen, als wären dort kleine Adern geplatzt, um ihr Blut auszudrücken.
Und es gab einen Mund.
Er war in die Breite gezogen und leicht geöffnet. Sie sah zwei spitze Zähne, die aus dem Oberkiefer hervorschauten…
***
Doch ein Vampir!
Nur dieser eine Gedanke
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