1491 - Im Schloss der Hexen
Kindern zufrieden geben.
Sie wollte die Vergangenheit wieder aufleben lassen, und genau das durfte auf keinen Fall geschehen. Ich wollte nicht, dass aus den Kindern Roboter wurden, die den Gesetzen der Hölle gehorchten.
Um das zu verhindern, musste ich an die Wurzel allen Übels heran, eben an die verdammte Hexe.
Sie war da, sie tat nichts, sie genoss nur. Radmilla musste von einer inneren Freude erfasst worden sein, denn sie sah sich auf der Siegerstraße.
Meine Waffe war das Kreuz. Bewusst ließ ich es noch in der Tasche. Aber seine Wärme verschwand nicht. Sie durchpulste das Metall, als wollte sie endlich freie Bahn haben, um sich dem Grauen stellen zu können.
Ich wartete noch. Bei mir stand die verdammte Hexe an erster Stelle. Wenn ich sie ausschaltete, brach hoffentlich alles zusammen.
Es würde nicht leicht werden. Sie hatte in der langen Zeit ihrer Existenz Kraft sammeln können, und es gab die heranschwebenden Helfer, die auf ihrer Seite standen und die Glenda Angst machten.
»Gib acht, John, die Kinder…«
»Schon gut.«
»Kümmere dich um sie.«
»Und du?«
»Nimm du die Kinder!«
Plötzlich hatte sich die Lage zugespitzt. Ich wusste genau, was Glendas letzte Antwort zu bedeuten hatte. Ich sollte die Kinder beschützen. Sie hatte sich ein anderes Ziel ausgesucht, und das konnte nur die verfluchte Hexe sein.
So kam es, wie es kommen musste. Glenda sprang in diesem Augenblick über ihren eigenen Schatten und griff die Hexe an…
***
Es war keine spontane Handlung gewesen. Glenda Perkins hatte sich ihre Aktion genau überlegt, und sie hatte sich bewusst vom Kreis der Kinder entfernt, um eingreifen zu können, ohne dass jemand sie störte oder sie ein Hindernis zu überwinden hatte.
Sie war schnell, aber sie hetzte nicht. Sie glitt auf Radmilla zu, die zunächst nichts tat und Glenda bis auf eine bestimmte Entfernung herankommen ließ.
Dann aber reagierte sie und fuhr mit einer schnellen Drehung herum. Sie brauchte die Bewegung nur halb auszuführen, um der Angreiferin ins Gesicht schauen zu können.
Glenda glaubte, einer Frau gegenüberzustehen, die sich zurechtgemacht hatte, um einen Ball zu besuchen. Das lange schwarze Kleid sah schon festlich aus, ein Teil der Brüste quoll aus der Korsage hervor, und das Gesicht zeigte keinen hässlichen Ausdruck, wie man es bei einer Hexe eigentlich hätte erwarten können.
Aber da gab es noch das Messer mit der langen Klinge. Radmilla hob die Waffe leicht an, als sie Glenda auf sich zukommen sah.
»Was willst du?«
»Dich!«
Radmilla schüttelte den Kopf. »Nein, du wirst mich nicht bekommen. Niemand bekommt mich. Ich werde dich hier töten. Ich werde dich aufschneiden. Und ich werde mich freuen, wenn ich das Blut aus deinen Wunden laufen sehe…«
Für Glenda stand fest, dass Radmilla nicht bluffte. Und sie wusste auch, dass sie sich mit dieser Aktion in allerhöchste Gefahr gebracht hatte.
Sie hatte es bewusst getan. Und sie hatte ihre Aktion auch nicht mit John Sinclair abgesprochen, denn er hätte ihr davon abgeraten, weil sie zu risikoreich und auch lebensgefährlich war.
Das Messer störte sie nicht. Sie ließ sich auch nicht von der Gestalt der Radmilla beeindrucken, es gab für sie nur einen Weg. Den direkten. Sie wollte angreifen, obwohl sie äußerlich keine Waffe trug, mit der sie sich hätte verteidigen können.
Aber da steckte etwas anderes in ihr. Es war ein tiefes Vertrauen auf die Kraft, gegen die sie sich mal so gewehrt hatte, die jedoch in diesem Augenblick ungemein wichtig für sie war.
Volles Risiko und volle Konzentration.
So blieb sie bei dem direkten Weg. Mit jedem Schritt schmolz die Entfernung zwischen ihr und Radmilla zusammen.
Glenda konzentrierte sich auf die Bewegungen der Hexe und zugleich auf sich selbst. Sie musste genau den richtigen Zeitpunkt erwischen – wenn nicht, war sie tot.
Radmilla sagte nichts mehr. Sie war einfach zu überrascht, um noch reden zu können. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit einer derartigen Aktion. Und sie sah, dass die fremde Frau mit den dunklen Haaren und dem Ledermantel ihr Verhalten auch nicht ändern würde. Sie war dabei, in ihr Verderben zu laufen.
Die will sterben!, fuhr es der Hexe durch den Kopf. Die will einfach nicht mehr leben!
Und sie handelte.
Sie ging Glenda entgegen. Dabei holte sie aus, nahm den angewinkelten Arm zuerst nach hinten, rammte ihn dann vor und stieß die lange Klinge in den Körper der Frau…
***
Jeder Schritt hatte Glenda näher
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