1491 - Im Schloss der Hexen
an die Entscheidung über Tod oder Leben herangebracht.
Was sie sich vorgenommen hatte, war ungeheuerlich, das wusste sie genau, und wenn sie nicht genau den richtigen Zeitpunkt erwischte, war alles verloren.
Radmilla lief auf sie zu. Mit dem langen Messer in der Hand sah sie aus wie ein menschliches Monster.
Glenda konzentrierte sich nur auf die Hexe.
Die veränderte sich genau in dem Moment, als sich Glendas nähere Umgebung zu verdichten begann. Die Gestalt der Hexe verlor ihre normalen Formen, wurde zu einem Strich. Das nach vorn zuckende Messer war nicht mehr als ein heller Streifen, und der Stich traf deshalb nicht, weil es kein Ziel mehr gab. Glenda hatte es geschafft, sich genau im richtigen Moment wegzubeamen.
Sie hielt sich an einem anderen Ort auf. Sie hörte die Hexe fluchen und starrte dabei auf deren Rücken.
Radmilla taumelte durch den eigenen Schwung, fing sich wieder und hörte das leise Lachen, das von einer Frage übertönt wurde.
»Wolltest du mich töten?«
Radmilla fuhr herum.
Glenda Perkins stand vor ihr. Sie provozierte, indem sie ihre Arme in die Höhe streckte. Ob Können oder Glück sie in diese Lage gebracht hatten, war ihr in diesem Augenblick egal. Sie musste den Triumph über die verdammte Hexe einfach auskosten.
Normalerweise hätte sie von der Hexe längst eine Antwort erhalten. Aber Radmilla war sprachlos geworden. Sie hatte zum ersten Mal erlebt, dass man sie zum Narren hielt und ein Mensch ihr überlegen war. Normalerweise hätte niemand der Klinge entgehen können, aber es war passiert, und Radmilla hatte das Nachsehen gehabt.
Glenda provozierte weiter, als sie sagte: »Wolltest du mir nicht dein Messer in den Leib rammen? Dann komm! Du hast noch einen Versuch. Mal sehen, ob du es jetzt schaffst, Radmilla!«
»Ja, ich komme! Und ich werde deinen Hals von einer Seite zur anderen aufschlitzen!«
»Ich warte!« Glenda hatte die Arme angehoben und winkte mit den Fingern.
Auch diese Geste provozierte Radmilla. Hexenkräfte steckten nicht in ihr, zumindest setzte sie keine ein. Da war Glenda Perkins schon im Vorteil. Radmilla blieb nur das Mordmesser mit der langen Klinge, und auf das verließ sie sich auch bei der nächsten Aktion…
***
Die Kinder, die Monster und ich!
So konnte man die Szene beschreiben, die ich erlebte. Ich stand noch immer auf demselben Platz und wartete. Die Monster huschten lautlos von allen Seiten näher. Wie nebenbei bekam ich mit, was Glenda da anstellte. Ich hatte sie nicht zurückhalten können und wollte es auch nicht. Denn dann hätte ich den Mittelpunkt des Kreises verlassen müssen, der für mich zu etwas wie einer Verteidigungsstellung geworden war.
Noch immer waren die Gestalten schlecht zu beschreiben. Es waren elf, und es gab elf Kinder.
Das zwölfte fehlte. Es konnte auch nicht herbeigezaubert werden, so musste sich die andere Seite mit dem zufrieden geben, was sie präsentiert bekam.
Die Hölle war ein Reich mit vielen Kammern, wenn man von einer menschlichen Vorstellung ausging. Und so mussten sich die Kammern geöffnet haben, um die Gestalten zu entlassen, die aus einer Mischung aus Mensch, Tier und Monster bestanden.
Es gab welche mit überlangen Gliedmaßen, mit schrecklichen Fratzen in schiefen Gesichtern, in denen sich Mäuler abzeichneten, aus denen gelblicher Brodem quoll.
In ihnen allen steckte diese verfluchte teuflische Kraft, und sie wollten sie auf die Kinder übergehen lassen.
Ich musste etwas tun, und ich holte mein Kreuz hervor. Ob es tatsächlich die letzte und einzige Rettung war, darauf konnte ich nur hoffen. Ich war entschlossen, das Kreuz zu aktivieren, um seine Kräfte gegen die der Hölle zu stellen.
Aber es war nicht nötig. Als das Kreuz freilag, da reagierte es, ohne dass ich etwas hätte dazu tun müssen. Es schien nur darauf gewartet zu haben, endlich freie Bahn zu haben, und das war in diesem Augenblick passiert.
Von den Enden des Kreuzes aus setzten sich die Strahlen ab. Lange, sogar leicht neblige Gebilde, die sich auf dem Weg in die verschiedenen Richtungen vermehrten, sodass aus ihnen tatsächlich elf Gestalten entstanden, die allerdings keine menschlichen Formen aufwiesen. Sie waren nichts anderes als helle Streifen, die sich über die Körper der Kinder legten wie ein Schutz.
Sie sprachen nicht. Sie reagierten auch nicht, sodass ich hätte aufmerksam werden können, und doch erlebte ich ihre Anwesenheit nicht nur körperlich.
Es war im Nu etwas vorhanden, das ich als Mensch nur als
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