1491 - Im Schloss der Hexen
denn es gab nur die Treppe zu sehen und zugleich ihr Ende, an dem wir die breite Tür erkannten.
»Kein unbekanntes Bild«, sagte ich leise.
»Die Tür gehört zu einem Schloss«, erklärte Glenda. Sie streckte beide Arme aus und deutete schräg in die Höhe. »Diese grauen Schatten, das sind Mauern, John. Und ich denke, dass sie zu einem Schloss oder einer Burg gehören.«
»Das Schloss der Hexe.«
»Möglich. Aber wir müssen hinein.«
Sie hatte mit einer sehr optimistisch klingenden Stimme gesprochen. An eine Gefahr dachte Glenda wohl weniger oder schaffte es, sie gut zu überspielen.
»Gehen wir«, sagte ich.
»Du sprichst mir aus der Seele.«
Es waren sehr breite und auch hochkantige Stufen, die vor uns lagen. Rechts und links rahmten dicke Steingeländer sie ein. Je näher wir der Tür kamen, umso besser sahen wir sie. Sie war oben rund, recht breit und schien aus einem ziemlich dicken Holz zu bestehen.
Zu hören war nichts. Abgesehen von den Geräuschen, die entstanden, wenn wir unsere Füße aufsetzten.
Zwischen der letzten Stufe und der Eingangstür gab es so etwas wie eine Plattform, auf der wir stehen blieben wie zwei Menschen, die auf etwas warteten.
»Ich habe die Stimmen der Kinder gehört, John!« flüsterte mir Glenda zu.
»Okay, und wo sind sie jetzt?«
Sie hob die Schultern, deutete aber auf die Tür und sagte: »Es gibt nur diese eine Möglichkeit.«
»Wenn du das so siehst.«
»Bestimmt.«
Glenda hatte es eilig. Während ich einen Blick über die Treppe hinweg nach unten warf, kümmerte sich Glenda bereits um die Klinke und lachte dabei fast fröhlich auf.
»Was ist mit dir?«
»Sie ist offen.«
»Umso besser.« Ich schob Glenda zur Seite, die zwar protestierte, aber mir dann doch den letzten Part überließ. Ich drückte die Klinke bis zum Anschlag nach unten. Mit der linken Schulter lehnte ich mich gegen das Holz und gab genügend Druck, um die Tür nach innen schieben zu können. Was dahinter lag, wusste ich nicht, ich hörte auch nichts. Ich war ungeheuer gespannt darauf, wo wir landen würden.
Der erste Blick.
Er war noch nicht vollständig, weil ich die Tür nicht bis zum Anschlag geöffnet hatte. Was ich allerdings sah, war eine düstere Szenerie. Ich befand mich am Rand einer Halle, und ich stellte mit einem Blick fest, dass es hier keinerlei Möbel gab. Sie war leer, was die Einrichtungsgegenstände betraf, aber nicht menschenleer!
Zwar hatte ich damit gerechnet, aber ich erlitt schon fast einen Schock, als ich die Kinder sah, die sich hingesetzt hatten und einen großen Kreis bildeten. Und in der Mitte zwischen ihnen befand sich die einzige Lichtquelle.
Beinahe hätte ich gelacht, als ich das künstliche Lagerfeuer sah.
Oder war es nicht künstlich? Erst beim zweiten Hinschauen stellte ich fest, dass ich es hier mit einem unnormalen Feuer zu tun hatte, und mir kam der Begriff Hexenfeuer in den Sinn.
Flammen leckten von der Erde hoch. Sie hatten eine nicht unbedingt rote Farbe. Ein anderer Ton – Grün – überwog.
Glenda glitt neben mich. Ich hörte, wie sie einige Male durchatmete. »Mein Gott, bin ich froh, dass die Kinder noch leben. Heil und gesund, würde man sagen.«
»Genau.«
Im Augenblick drohte uns keine Gefahr. So konnten wir uns auf die dort versammelten Kinder konzentrieren. Wir zählten sie rasch durch und kamen auf die Zahl elf. Ob das alle waren, die Radmilla wollte, wussten wir nicht. Die Zahl konnte noch höher werden.
Jungen und Mädchen gab es. Sechs Jungen, fünf Mädchen. Dabei spielte die Hautfarbe keine Rolle. Hier war der Bevölkerungsdurchschnitt der Welt vertreten.
»Sie sind so ruhig«, murmelte Glenda. »Ich weiß nicht mal, ob sie uns gesehen haben.«
»Das glaube ich nicht.«
»Dann warten sie auf etwas oder jemanden.«
»Auch das ist möglich.«
Glenda lächelte. »Wer kommt dafür in Frage? Ich denke, dass es nur die Hexe sein kann. Sie wird noch unterwegs sein. Vielleicht will sie noch ein Kind herbeischaffen, um den Reigen zu füllen.«
»Das kann sein.«
»Wartest du hier?«
»Was hast du vor?«
»Ich möchte versuchen, einen Kontakt mit den Kindern aufzunehmen. Wäre toll, wenn ich sie zum Reden bringen könnte.«
»Viel Glück dabei. Ich halte dir den Rücken frei.«
Sie warf mir einen schrägen Blick zu. »Das höre ich gern, John. Sonst ist es immer umgekehrt.«
»Du bist eben emanzipiert.«
»Danke, das werde ich mir merken.«
Wir hatten flüsternd miteinander gesprochen, und trotzdem war bei jedem
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