1494 - Hexenhölle
zu mir gekommen war. Da hätte sie eigentlich aus dem Bild steigen müssen, und das war wohl geschehen, obwohl ich keinen Beweis dafür hatte.
Meine Gedanken drehten sich weiter, und ich schaute erneut auf das große Gemälde.
Da waren die Soldaten zu sehen, die den Friedhof stürmten und die natürlich bewaffnet waren.
Einige mit Lanzen!
Ich sah mir die Waffe genauer an, die im Körper des Toten steckte.
Nicht mal einen zweiten Blick musste ich auf sie werfen, um zu erkennen, dass sie nicht eben aus neuster Produktion stammte. Es war eine alte Lanze, zum Teil mit Rost bedeckt.
Durch den Anblick gelangte ich immer mehr zu der Auffassung, dass der Mörder das Bild verlassen hatte, um hier seine Bluttat zu begehen. Aber wo steckte er jetzt? War er wieder in das Bild zurückgegangen, um die dort hinterlassene Lücke wieder zu füllen?
Eine gewagte Theorie, aber nicht unbedingt ganz von der Hand zu weisen, wenn ich daran dachte, was mir in meinem Leben schon für Phänomene begegnet waren.
Erneut dachte ich daran, dass wir dieses Haus nicht so schnell verlassen würden. Hier gab es sicherlich noch andere Geheimnisse zu entdecken.
»John, was machst du da?«
Ich konnte Cosima den Toten nicht verschweigen. »Du solltest mal zu mir kommen. Es ist wichtig.«
»Ja, ich bin gleich bei dir.«
Sie musste einigen Möbelstücken ausweichen, hatte mich schnell erreicht und sah, dass ich mit einer Hand auf die hohe Standuhr deutete.
Cosima zuckte zusammen und riss ihre Augen weit auf.
»Nein!« hauchte sie nur.
»Doch, er ist tot. Und ich gehe davon aus, dass wir es hier mit Tim Bogart zu tun haben.«
»Das kann sein«, flüsterte sie nach einer Weile. »Ich habe ihn ja bisher auch nicht gesehen…«
»Man hat ihn mit einer Lanze getötet«, fuhr ich fort und fragte sofort danach: »Wer tötet schon mit einer Lanze? Und das in der heutigen Zeit? Hast du eine Antwort?«
»Nein.«
»Ich auch nicht, aber die Tatsachen sprechen für sich. Die Lanze muss durch den Körper gedrungen sein und steckt in der Uhr fest. Sogar so fest, dass sie das Gewicht des Toten hält. Und wenn du sie dir näher anschaust, wirst du feststellen, dass es sich um eine alte Waffe handelt. Ich schließe daraus, dass es jemand geschafft hat, aus der Vergangenheit zu kommen, um in der Gegenwart zu morden. Du bist nicht die einzige Person, bei der dieses Phänomen zutrifft.«
»Aber ich habe ihn nicht getötet.«
»Zum Glück nicht.«
Sie räusperte sich und fuhr mit ihren Handflächen über den Stoff der Jeans, bevor sie fragte: »Hast du eine Idee, wie es jetzt weitergehen soll?«
»Wir müssen den Mörder finden.«
»Der hat längst die Flucht ergriffen.«
»Trotzdem, Cosima. Es kann nämlich auch sein, dass er sich noch hier im Haus versteckt hält. Er ist möglicherweise aus dem Bild gekommen, aber dann schafft er es auch, wieder dort hineinzugehen.«
»Das weiß ich nicht.«
»Würdest du es denn schaffen?«
»Ich habe es noch nicht ausprobiert.«
»Aber du kennst den umgekehrten Weg.«
»Das schon…« Sie runzelte die Stirn. »Laufen deine Bemerkungen auf das Ziel hinaus, dass du versuchen willst, dich in das Gemälde zu begeben?«
»Es wäre zumindest einen Versuch wert.«
Sie schaute mich nur an. Ob sie Furcht empfand, erkannte ich nicht, aber wohl war ihr bei dem Gedanken auch nicht. Dann drehte sie sich dem Gemälde zu. Die Lanzen der Männer auf dem Bild sahen so aus wie die, die im Körper des Toten an der Standuhr steckte.
»Ich glaube, ich muss dir recht geben«, murmelte sie. »Aber das ist alles so schwer zu fassen.«
Jetzt konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. »Und wie siehst du dein eigenes Schicksal dabei?«
»Nicht viel anders.«
»Gut, dass du es akzeptierst. Ich bin jemand, der nach einer Erklärung sucht, und ich kann mir vorstellen, dass ich sie nicht hier finde, sondern im Bild.«
Ich brauchte meinen Vorschlag nicht zu wiederholen. Cosima hatte mich verstanden. Mit Flüsterstimme sagte sie: »Du willst also wirklich in das Bild hinein.«
»Ja.«
»Aber wie willst du das fertigbringen?«
Ich stellte eine Gegenfrage. »Wie ist es denn dir gelungen – und möglicherweise auch dem Mörder?«
»Na ja«, sagte sie, »ja, du hast recht. Das stimmt schon. Wie ist es dem Mörder gelungen?«
»Bleiben wir erst mal bei dir. Wie hast du es geschafft, Cosima?«
»Ich bin einfach losgerannt, als sie das Reisig angezündet haben. Ich hatte mich von meinen Fesseln befreien können, und dann lief ich
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