1494 - Hexenhölle
Ich hätte auch nichts mehr über die Lippen bringen können, denn der Schock saß einfach zu tief. Ich fühlte mich plötzlich im Mittelpunkt eines Spiels, ohne daran aktiv teilnehmen zu können.
Das war er!
Es gab keinen Zweifel.
Das Gesicht, die Haare, die schon schütter waren. Augen, die sehr nachdenklich aus dem Bild schauten.
Aber ich erkannte auch, dass dieser Mensch nur ein Beobachter war und selbst nicht eingreifen konnte. Es war möglich, dass er trauerte, wobei er das Gefühl geschickt verbarg und deshalb eine gewisse Neutralität zeigte.
Ich musste mit dem Motiv dieser Szene erst mal fertig werden.
Hector de Valois zu sehen, und sei es auch nur als gemaltes Motiv, das hatte mich überrascht.
Ich nahm noch mal das gesamte Bild in mich auf und ich wusste, dass es noch eine große Rolle spielen würde. So schnell würde der Besuch in diesem Haus nicht beendet sein.
Auch Cosima hatte sich erst fangen müssen. Sie war nicht mehr so ruhig. Sie zitterte und suchte Halt an meiner Hand.
»Du kennst das Bild, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und bist auch darauf?«
Sie nickte.
»War das der Scheiterhaufen?«
»Ja, das ist er gewesen. Er hat noch nicht gebrannt, das erfolgte erst später.«
»Und was ist mit der Umgebung?«
»Ein Friedhof«, erwiderte sie leise, nachdem sie noch mal hingeschaut hatte. »Aber kein normaler. Dort wurden die Söldner, die Gottlosen und Selbstmörder begraben. Ein unheimlicher Ort…«
»An dem die Toten aus den Gräbern stiegen?«
Cosima war noch nicht in der Lage, einen Kommentar abzugeben.
Sie hob nur die Schultern an und nickte zugleich.
Ich sagte zunächst nichts mehr. Meine Gedanken schlugen Purzelbaum. Die Szene auf dem Bild bedeutete so etwas wie Krieg. Hier kämpften die verschiedenen Mächte gegeneinander, und es gab in der Person des Hector de Valois einen Beobachter, der nur zuschaute und nicht in der Lage war, in das Geschehen einzugreifen.
»Die Frau am Pfahl…«, sagte ich leise.
»Ja, das bin ich.«
»Aber du bist nicht verbrannt?«
»Nein, ich entkam, obwohl die Flammen schon loderten.«
»Und was geschah dann?«
Cosima runzelte die Stirn. »Ich weiß es nicht mehr so genau, aber ich konnte fliehen.«
Ich hatte meine Zweifel, ob dies zutraf. Möglicherweise stimmte es nur im Prinzip, aber sie wollte auf Einzelheiten nicht näher eingehen.
»Und Hector konnte dir nicht helfen?«
»Nein.«
»Wer hat dich denn befreit?«
»Das habe ich selbst geschafft. Mir ist es gelungen, die Stricke zu lockern und mich zu befreien. Gerannt bin ich, gerannt, gerannt…«
Ihre Stimme sackte immer mehr ab, bis sie schließlich ganz verstummte.
Mir wurde klar, dass ich Cosima noch längst nicht richtig kannte.
Ich wusste nicht, welch eine Rolle sie spielte. Dass sie eine spielte, stand außer Frage, und dass sie keine Einzelgängerin war, ebenfalls.
Sonst hätte sie mich nicht zu holen brauchen.
Ich konzentrierte mich wieder auf das Bild und stellte fest, dass es doch nicht an die Wand gemalt worden war. Da gab es schon eine Leinwand. Sie wurde von einem sehr dünnen Rahmen gehalten, den ich erst jetzt entdeckte.
»Und du weißt nicht, wer es gemalt hat und wie es in den Besitz dieses Tim Bogart gelangt ist?«
»Nein.«
»Gut, lassen wir das. Mich beschäftigt eines: Was hast du erlebt, nachdem es dir gelungen war, dich zu befreien? Was ist da mit dir geschehen? Wieso hat man dich nicht wieder eingefangen? Bist du schneller gewesen als deine Häscher?«
Cosima überlegte. Sie wand sich regelrecht. Es strengte sie an, aber sie gab keine Antwort. Ich musste mich damit abfinden, dass sie nicht mehr wusste. Ihre Erinnerung war gelöscht. Das akzeptierte ich zunächst. Dass wir uns näher mit dem Gemälde befassen mussten, stand für mich fest. Ich wollte es auf eine bestimmte Art und Weise tun. Doch zunächst dachte ich über ein anderes Problem nach, und das hatte sogar einen Namen.
Ich wandte mich an Cosima. Möglicherweise konnte sie mir helfen, und meine Stimme klang recht leise, als ich sie nach dem Besitzer des Hauses fragte.
»Ich kenne Bogart nicht persönlich.«
»Trotzdem weißt du Bescheid?«
»Ja.«
»Hat er dich mal gesehen?«
»Ich glaube nicht, aber ich weiß, worauf du hinaus willst, John. Du wunderst dich darüber, dass er nicht hier ist – oder?«
»Genau das habe ich dir sagen wollen.«
»Ich kenne seinen Aufenthaltsort auch nicht«, gab sie zu. »Ich habe gehofft, ihn hier anzutreffen, aber…« Sie ließ die letzten Worte
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