1496 - Keltenzauber
Kopf so stark, dass ihre Haare flogen. Im nächsten Augenblick fing sie an zu laufen.
Johnny gab nicht auf. Er hatte nur wenig von Myrna erfahren, doch das Wenige reichte ihm aus, um die Verfolgung aufzunehmen und endlich zu erfahren, welch ein Geheimnis sie verbarg.
Er hatte das Gefühl zu dampfen, als er die Hügelkuppe erreichte und dort anhielt.
Johnny konnte sich zu diesem Aussichtspunkt gratulieren. Er sah an der linken Seite ein Dorf in einer flachen und weiten Mulde liegen. Nicht weit davon entfernt ragten zwar keine Berge in die Höhe, aber graue Felsen waren es schon.
Myrna war noch immer zu sehen. Sie setzte ihren Weg mit schnellen Schritten fort, und sie lief dabei genau auf die Felswände zu.
Johnny legte beide Hände um den Mund. Er rief so laut wie möglich ihren Namen.
Sie hörte ihn auch.
Sie drehte sich sogar um.
»Komm zurück, bitte…«
Myrna schüttelte den Kopf. Sie hob beide Hände, und einen Moment später glich ihr Lauf einem Tanz. Sie sprang sogar einige Male in die Höhe, drehte sich in der Luft und war plötzlich verschwunden.
Johnny stand auf der Stelle. Er sagte nichts mehr. Er konnte nur noch staunen. Dann hörte er, dass sein Herz überlaut schlug. Er verstand in diesem Augenblick die Welt nicht mehr. Er wischte über seine Augen, weil er nicht sicher war, ob sie ihm einen Streich gespielt hatten.
Das war nicht der Fall.
Es gab Myrna nicht mehr. Und sie hatte auch kein Versteck in der Nähe gefunden. Bis zu den Felsen war sie nicht gekommen. Er hatte sie nicht fallen sehen, sie war einfach weg.
Wie an der Tankstelle, als er nur ihre Stimme gehört hatte.
Ein kalter Schauer lief über Johnnys Rücken. Er spürte die Feuchtigkeit auf seinen Handflächen, und über seinen Nacken rannen sogar Schweißperlen.
Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte, aber eine Erkenntnis blieb bestehen. Wenn Myrna aus der Keltenzeit stammte, dann musste sie eine Tote sein. Er hatte also mit einem Geist gesprochen, denn sonst hätte sie sich nicht auflösen können.
So schwer ihm dieser Gedanke auch fiel, er war nachvollziehbar, wenn auch nicht zu erklären. Darüber zerbrach sich Johnny nicht den Kopf. In seinem Leben war er schon oft genug mit den unmöglichsten Vorgängen konfrontiert worden, und dieses rätselhafte Mädchen passte irgendwie dazu.
Er überlegte. Sollte er Myrna folgen und eine Suchaktion starten oder die Fahrt fortsetzen?
Er entschied sich dafür, weiter nach London zu fahren. Nicht er hatte hier das Sagen, sondern Myrna, denn sie machte mit ihm, was sie wollte. Wenn es ihr in den Sinn kam, sich zu zeigen und einen Menschen um Hilfe zu bitten, dann tat sie es.
Johnny drehte sich um. Er ging zurück zu seinem Mini und fuhr los.
Die Begegnung mit Myrna aber konnte er nicht vergessen…
***
Sheila Conolly atmete tief durch die Nase ein, bevor sie sagte: »Also das hast du erlebt?«
»Genau.«
Sheila schüttelte den Kopf. »Wenn es mir ein anderer erzählt hätte, ich hätte ihm nicht geglaubt. Bei dir ist das etwas anderes. Ich glaube dir, dass du mir kein Märchen erzählt hast.«
»Warum hätte ich das tun sollen?«
»Eben.« Sheila trank noch den Rest des Kaffees und stellte die nächste Frage: »Wo ist es denn passiert?«
»Zwischen Canterbury und London…«
»Klar. Oder zwischen Berlin und New York. Ein bisschen genauer hätte ich es schon.«
»Da muss ich nachdenken.«
»Tu das.«
Nach einer Weile des Nachdenkens nickte er. »Einen Ortsnamen habe ich kurz nach meiner Weiterfahrt gelesen und auch behalten. Das Kaff heißt Teynham.«
Sheila winkte ab. »Nie gehört.«
»Ich vorher auch nicht.«
»Und was hast du jetzt vor?«
»Nichts.«
Sheila konnte ihr Lachen nicht zurückhalten. »Bitte, Johnny, willst du mich für dumm verkaufen? Ich kenne dich doch. Du bist wie dein Vater, und er hätte die Sache ebenfalls nicht auf sich beruhen lassen. Ich spüre, wie die Gedanken hinter deiner Stirn arbeiten. Da kannst du mir nichts vormachen.«
»Was soll ich denn tun?«
»Das weiß ich nicht, Johnny. Dafür bist du ganz allein verantwortlich. Du bist schließlich erwachsen.«
»Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht.«
»Gut, mein Junge, belassen wir es dabei. Aber hast du mal daran gedacht, mit John darüber zu sprechen?«
»Und was ist mit Dad?«
Sheila schreckte zurück. »Nein, nicht mit ihm. Er hat einen anderen Beruf.«
»Ja, du willst nur nicht, dass er sich reinhängt«, erklärte Johnny schadenfroh.
»Genau.«
»Und wo ist er
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